Sigurd
Hebenstreit
Konzeptionelle
Fragen am Beginn des 21. Jahrhunderts
Qualität,
Qualitätssicherung, Kindzentrierung
Vortrag
am 23. Februar 2000 in Sigmaringen
und am 16. 3. 2000 in Bielefeld
Der
große Dirigent Wilhelm Furtwängler
hat einmal auf die Frage, was denn
im Konzert am Abend gespielt würde,
geantwortet: Ich weiß nicht,
was das Orchester spielt, ich dirigiere
Beethovens Fünfte. So geht
es auch mir: Ich weiß nicht, was in
Ihren Köpfen vorgeht, ich trage Ihnen
meinen Text vor, den ich für Sie geschrieben
habe. Dies ist nichts besonderes,
es ist die gleiche Situation wie bei
jedem Vortrag über ein beliebiges
Thema; und auch Ihnen ergeht es nicht
anders, wenn Sie im Kindergarten bewusst
etwas zu einem Kind sagen: Sie schauen
nicht in seinen Kopf hinein. Es ist
gut, dass es so ist, denn darin drückt
sich die Freiheit und Selbstverantwortung
des Zuhörers aus. Und die Nichtplanbarkeit
Ihrer Reaktion auf meinen Vortrag
ist auch deshalb geboten, weil es
auf Ihrer Tagung um den Weg zur eigenen
Konzeption gehen soll, also um persönliche
Antworten auf grundlegende pädagogische
Fragen. Und dies für heute Vormittag
in einem Rahmen, der über 100 Menschen
in einem Raum vereint. Ich muss Sie
also geradezu auffordern, mit Ihren
eigenen Gedanken abzuschweifen, dem
nachzugehen, was in Ihrem Kopf an
Bildern, Ideen, Phantasien, Ängsten,
Hoffnungen herumschwirrt.
1.
Wie gut sind unsere Kindergärten?
Es
ist noch keine zwei Jahre her, als
in den bundesdeutschen Zeitungen die
Nachricht die Runde machte, noch nicht
einmal jeder dritte Kindergarten weise
eine gute Qualität auf, vielmehr bestimme
Mittelmäßigkeit die Landschaft. Und
noch etwas konnte man der Presse entnehmen:
In den neuen Bundesländern sei die
Situation noch dramatischer. So gut
wie keine Einrichtung erreichte dort
eine gute Qualität. Nachrichtenredakteure
sind an sensationellen Neuigkeiten
oder der Bestätigung alter Vorurteile
ausgerichtet. Die Differenziertheit
der Ergebnisse ist eine Sache für
Fachleute, die Allgemeinheit ist an
einer einprägsamen Schwarz-Weiß-Zeichnung
interessiert. Für uns Kindergartenpädagogen
ist dies nicht anders: Soweit es nicht
erzieherische Fragen betrifft, lesen
wir die Schlagzeilen: der Wald stirbt,
Milosevi ist ein Verbrecher,
Helmut Kohl stellt sein persönliches
Ehrenwort über Gesetz und Verfassung
und Borussia Dortmund ist auf dem
absteigenden Ast (leider). Doch zumindest
so weit es Kindergartenfragen angeht,
sollten wir genauer hinschauen. Was
steckt hinter der Nachricht von den
mittelmäßigen Kindergärten?
a)
Untersuchungserwartungen
Wolfgang
Tietze u.a. haben eine empirische
Untersuchung in 103 bundesdeutschen
Kindergartengruppen durchgeführt. Einbezogen
waren sowohl Kindergärten mit traditionellen
Öffnungszeiten in den westlichen Bundesländern
wie auch Kindertagesstätten in Ost
und West. Der schlagkräftige Titel
der Veröffentlichung lautet: Wie
gut sind unsere Kindergärten?
Die Autoren differenzieren den Begriff
der Qualität in drei
Bereiche aus:
-
Die Orientierungsqualität ,
die nach den pädagogischen Vorstellungen
und Zielen von Müttern und Erzieherinnen
fragt,
-
die Strukturqualität ,
in der es um die Rahmenbedingungen
des Kindergartens geht, und
-
die Prozessqualität ,
in der das faktische Erzieherhandeln
im Vordergrund steht.
Zu
erwarten ist nun, dass Erzieherinnen,
die die richtigen Einstellungen
zur Erziehung haben (also beispielsweise
nicht meinen Regeln und Disziplin
einüben sei die wichtigste
Aufgabe des Kindergartens, während
das Selbstwertgefühl fördern
unwichtig sei) und die unter günstigen
Rahmenbedingungen handeln (also einen
besseren Schlüssel Erzieher-Kind und
mehr Vorbereitungszeit haben), dass
diese Erzieherinnen eine bessere Kindergartenarbeit
realisieren als die Kolleginnen mit
den falschen Vorstellungen
und den schlechteren Rahmenbedingungen.
Dass die Ergebnisse nicht ganz diesen
Vermutungen entsprechen, werden wir
gleich sehen. Vorher lässt sich noch
eine andere Erwartung äußern: Kinder,
die das Glück haben, in einem guten
Kindergarten gefördert zu werden,
sind auch in ihrer Entwicklung besser
dran, sei es sprachlich oder in ihrem
Sozialverhalten. Betrachten wir drei
Ergebnisse der Studie von Tietze :
b)
Ergebnisse
·
Pädagogische Orientierung
und Qualität
Die
pädagogischen Orientierungen der Erzieherinnen
haben keinen Einfluss auf die Qualität
des Kindergartens, so wie die Kinder
ihn tagtäglich erleben. Also, für
die Art und Weise, wie die Erzieherin
ihr Angebot strukturiert, wie sie
die Kinder in verschiedenen Entwicklungsbereichen
fördert, welche Anregungen sie den
Kindern gibt, wie sie sie als Person
respektiert oder nicht respektiert
ist es gleichgültig, was sie in Interviews
für pädagogische Vorstellungen äußert,
welche Ziele sie für wichtig hält,
welche Bedeutung sie der Erziehung
gegenüber den Erbanlagen einräumt.
Für unsere Zwecke heute vereinfache
ich das Ergebnis: Das, was Erzieherinnen
pädagogisch glauben, hat keinen Einfluss
auf das, was sie faktisch tun. Auf
unser Thema gewendet: Erzieherinnen
mit der richtigen Konzeption
sind in ihrem Handeln nicht besser
als Kolleginnen mit der überholten .
Ich werde gleich auf diesen Punkt
zu sprechen kommen, fahre jetzt aber
mit dem Referat der Ergebnisse von
Tietze fort.
·
Rahmenbedingungen und
Qualität
Die
Rahmenbedingungen haben einen Einfluss
auf die von den Kindern erfahrene
Prozessqualität, d.h. Kindergärten
mit mehr Vorbereitungszeit für die
Erzieherinnen, mit einem günstigeren
Erzieher-Kind-Schlüssel, mit geringeren
Öffnungszeiten sind besser .
Was das Alter der Erzieherinnen angeht,
zeigt sich, dass Berufserfahrung über
fünf Jahre hinaus zu abnehmender Qualität
führt. Dieses letzte Ergebnis erwähne
ich nur, vielleicht haben Sie Lust,
es ausführlicher später zu diskutieren,
wofür ich als älterer Kollege dankbar
wäre.
Tietze
stellt fest: Es gibt einen Einfluss
verschiedener Rahmenbedingungen auf
die Qualität des Kindergartens (je
nach eingesetztem Messinstrument liegt
er bei einem knappen Drittel bzw.
der Hälfte), doch die Rahmenbedingungen
sind nicht alles: Es gibt auch gut
ausgestattete Kindergärten, die schlecht
arbeiten, und umgekehrt gute Kindergärten,
die schlecht ausgestattet sind. Auch
dieses Ergebnis lässt sich vereinfachend
darstellen: Wer an einer guten Kindergartenarbeit
interessiert ist, wird sich auf der
politischen Ebene für eine Verbesserung
der Rahmenbedingungen einsetzen, aber
er wird sich nicht der Täuschung hingeben,
damit sei die gesamte Arbeit schon
erledigt.
·
Qualität und Erfolg
Das
dritte Ergebnis, das ich Ihnen heute
vortragen möchte, lautet: Die Qualität
des Kindergartens hat einen nennenswerten
Einfluss auf die Entwicklung der Kinder.
Hans-Günther Rossbach, einer der Mitautoren
der Studie, formuliert griffig: Ein
Kindergarten mit einer sehr hohen
pädagogischen Qualität bewirkt denselben
Entwicklungsstand, der für ein um
ein Jahr älteres Kind in einem Kindergarten
mit sehr schlechter pädagogischer
Qualität wahrscheinlich ist. .
Das
klingt überzeugend; man kann es als
Argument im öffentlichen Bereich gebrauchen:
Wollt ihr glückliche und gut
entwickelte Kinder, dann investiert
in die Qualität des Kindergartens.
Ein Jahr Entwicklungsvorsprung
das ist bei einem vierjährigen
Kind ein Viertel seiner Lebenszeit.
Ich werde in diesem Jahr 50. Ein Viertel
meiner Lebenszeit mehr, und ich wäre
62 ½ - kurz vor der Rente. Der letzte
Satz war Polemik; vergessen Sie ihn
bitte. Vielleicht will ich nicht mehr
sagen, als dass die Suche nach Entwicklungsfortschritt
als Zielpunkt der Pädagogik etwas
Absurdes ist. Wann tritt dann der
Zeitpunkt ein, an dem man Zeit nicht
einsparen, sondern anhalten und ausdehnen
möchte?
c)
Kritische Anfragen
Doch
bevor wir uns solchen pädagogischen
Ideen zuwenden, möchte ich zurück
zu der vorgestellten empirischen Untersuchung
zur Qualität des Kindergartens, indem
ich drei Fragen berühre:
·
Maßstab Entwicklungsfortschritt
Die
erste bezieht sich auf das eben vorgestellte
Ergebnis von dem einen Jahr Entwicklungsfortschritt.
Ich will Sie nicht langweilen, und
werde es relativ grob darstellen:
Wenn man die Zahlen betrachtet, dann
ergibt sich ein nennenswerter Einfluss
der Qualität von Kindergärten auf
die selbständige Bewältigung von Alltagssituationen
und die sozialen Fähigkeiten der Kinder
nur für die Bereiche, die in der Umgebung
Kindergarten vorkommen, nicht dagegen
für Kompetenzen außerhalb. Polemisch
gewendet: Eine Studie zur Resozialisierung,
die nachwiese, dass die Gefängnisinsassen
erfolgreicher in der Bewältigung von
Gefängnissituationen seien, aber nicht
in dem Leben außerhalb, wäre nicht
gerade überzeugend.
Und
weiter: In der Studie von Tietze zeigt
sich ein messbarer Einfluss der Kindergartenqualität
auf die Sprachentwicklung, das ist
richtig. Richtig ist auch, dass dieser
Einfluss vergleichbar zu der Größe
des Lebensalters und Geschlechts des
Kindes ist. Nicht erwähnt wird aber,
dass dieser Einfluss bei 5 % liegt
und dass sein Effekt nicht einmal
ein Drittel der Qualität der Familienerziehung
ausmacht. Was ich Ihnen damit sagen
möchte, ist vor allem eins: Lesen
Sie kritisch. Dies gilt für empirische
Studien wie der hier vorgestellten,
aber auch für Kindergartenkonzeptionen.
Glauben Sie nicht an etwas, nur weil
es Schwarz-auf-Weiß dasteht, sondern
setzen Sie hinter jeden Satz ein Fragezeichen.
·
Ausgezeichnete Kindergartenqualität
Vielleicht
haben Sie sich bei meinem Referat
der Studie von Tietze u.a. schon des
öfteren gefragt, was denn gemeint
sei, wenn von guter
oder unzureichender
Kindergartenqualität geredet wird.
Wenn wir an die Rahmenbedingungen,
also die Strukturqualität, denken,
ist dies scheinbar einfach: Zwei Vollzeitkräfte
pro Gruppe sind besser als eineinhalb,
zwanzig Kinder besser als fünfundzwanzig.
Doch wie sieht es mit der Prozessqualität
aus? Betrachten wir es sehr pauschal,
so werden wir uns schnell einigen
können: Eine Erzieherin, die ein Viertel
ihrer Zeit Kaffe trinkend und Zigaretten
rauchend im Mitarbeiterraum verbringt,
und dann, wenn sie mit Kindern zusammen
ist, diese anschnauzt, Befehle erteilt,
abwertend mit Dritten über sie redet,
aber alles versäumt, um liebevoll
auf die Kinder zuzugehen, ihnen altersgemäße
Anregungen zu geben usw. ist eine
schlechtere Erzieherin als die, die
den Kindern zuhört, geduldig auf sie
eingeht, die richtigen Entwicklungsanstöße
zur richtigen Zeit gibt.
Tietze
hat zur Beantwortung der Frage nach
guter Kindergartenarbeit
ein US-amerikanisches Beobachtungsinstrument
für deutsche Verhältnisse eingerichtet.
Es ist unter dem Titel Kindergarten-Einschätzskala erschienen
und wird zur Zeit in einigen Einrichtungen
diskutiert und eingesetzt. Schaut
man sich die 37 einzelnen Beobachtungsaspekte
an, dann wird schnell deutlich, dass
sich am negativen Ende ein Pol herausbildet,
der wahrscheinlich von niemandem bestritten
wird - so wie bei meiner Karikatur
der schlechten Erzieherin gerade oben.
Doch dieses Negativbild beantwortet
noch nicht die Frage, was gute
Kindergartenarbeit sei. Ich vermute,
dass ich mit meinem Bild von kindzentrierter
Kindergartenarbeit nicht die Note
7, d.h. ausgezeichnet
erreichen würde. Gute
und noch mehr ausgezeichnete
Kindergartenarbeit aber lässt sich
nicht mit einem Messinstrument messen,
das für alle Kindergärten gültig sein
soll, sondern dies zu bestimmen, bedarf
es zunächst einmal begründeter konzeptioneller
Überlegungen.
·
Einfluss des Konzepts
Gestatten
Sie mir noch eine letzte Bemerkung
zu der Untersuchung. Wie berichtet
kann mit diesem Untersuchungsmaterial
keine Bestätigung für die These gefunden
werden, dass die pädagogischen Orientierungen
der Erzieherinnen einen Einfluss auf
die gemessene pädagogische Qualität
hat. Überspitzt gesagt: Wir könnten
eigentlich gleich nach Hause gehen,
wenn es richtig wäre, dass die erzieherische
Praxis gänzlich unabhängig von dem
ist, was Sie in Ihre Konzeption hineinschreiben.
Doch schaut man sich die Ergebnisse
genauer an, so ist es nicht so einfach.
Die Fragen der Untersuchung sind so
pauschal gestellt, dass sich nur schwerlich
ein Dissens ergeben kann. Wer würde
auf die Frage, ob die kindliche Entwicklung
durch Vererbung, Erziehung oder Vererbung
und Erziehung gemeinsam bedingt sei,
antworten: ausschließlich Vererbung .
Die Fragen pädagogischer Orientierung,
die Sie in Ihrer Konzeption zu beantworten
haben, liegen jedoch jenseits solcher
Allgemeinplätze.
Ich
möchte dies nur an einem Beispiel
andeuten: Wenn Sie sich im Rahmen
Ihrer Konzeptionsarbeit mit verhaltensauffälligen
Kindern beschäftigen, dann machen
Sie sich Gedanken darüber, wie weit
Sie als Erzieherin in der Lage sind,
jedes Kind auch das Sie völlig
nervende so zu akzeptieren,
wie es ist; und dies nicht im reisignativen
Sinne, sondern in dem Bewusstsein,
dass man nur ein klein wenig - sagen
wir 5 % - in der Lage ist, die Kinder
zu verändern. Auch dies letzte ist
wiederum nicht reisignativ gemeint,
sondern zu begrüßen als die Freiheit
des Kindes zu seiner Selbstwerdung.
Man könnte so zu der These kommen,
mehr als 5 % Veränderungsfähigkeit
der Erzieherin wäre die große Gefahr,
dass Erziehung in Manipulation umschlüge.
Nehmen Sie diese letzte These einmal
in die Diskussion eines Mitarbeiterteams.
Ich bin sicher, unterschiedliche Einstellungen
würden sichtbar, und diese unterschiedlichen
Einstellungen würden zu unterschiedlichen
Erziehungspraktiken führen (die Art,
wie Sie ein Kind anschauen, wie Sie
es anfassen, wie viel Geduld Sie entwickeln
usw.) Wenn ich jetzt noch die Macht
hätte, durchzusetzen, dass meine eigene
Position als die richtige anerkannt
würde, dann würde es mir nicht schwer
fallen, nachzuweisen, dass Erzieherinnen,
die meine Position teilen, bessere
Kindergartenarbeit machten als die,
die gegenteiliger Auffassung wären.
Sicherlich
haben Sie schon bemerkt, dass manchmal
die Pferde mit mir durchgehen. Ich
will mich also bemühen und verspreche,
mich im folgenden an die selbstgewählte
Gliederung zu halten. Ohne weitere
Kommentare gehe ich jetzt zu meinem
zweiten Hauptpunkt über.
2.
Die Debatte um Qualitätssicherung
Kommt
man in dieser Zeit mit einem leitenden
Mitarbeiter der Jugend- oder Behindertenhilfe
ins Gespräch, so dauert es im allgemeinen
nicht lange, bis die Rede auf das
Thema Qualitätssicherung
kommt. Auch auf den Kindergartenbereich
kommt dieses Thema zu, als angstauslösendes
Schreckgespenst oder als begierig
erwartete Hoffnung einer grundlegenden
Reform. Es gibt zwei extreme Positionen
zu dieser Frage:
·
Die einen glauben, jetzt
endlich würde das Rad neu erfunden,
begeistert nehmen Sie ein neues Vokabular
an, das einer technisch-administrativen
Sprache entstammt. Mit DIN
EN ISO 9000ff mit Total
Quality Management und mit
Neue Steuerungsmodelle
ist man auf der Höhe der Zeit.
·
Bei den etwas länger
im Geschäft befindlichen Kollegen
herrscht dagegen Skepsis vor: Im
Westen nichts Neues . Man hat
schon viele Wellen erlebt, und auch
diese wird einen nicht umwerfen, man
wird sie aussitzen wie die anderen.
Für viele praktizierende Gruppenerzieher
kommt die Angst hinzu: Man fühlt sich
in die Schulzeit zurück versetzt,
die externen Prüfer kommen und verteilen
Noten wie früher der Lehrer in der
Schule
Zwischen
diesen Polen von Begeisterung und
Ablehnung gibt es jede Menge Zwischentöne,
etwa den: Man will das nicht, das
mit der Evaluation und Qualitätssicherung,
aber man spürt den Druck von oben.
Und weil man sich nicht entziehen
kann, arbeitet man notgedrungen in
Qualitätszirkeln mit, um sich zumindest
den kleinen Rest an Mitbestimmung
zu sichern.
Es
ist nicht meine Absicht, die Debatte
um die Qualitätssicherung hier breit
darzustellen, doch da es viele Berührungspunkte
zwischen ihr und dem Thema gibt, das
heute auf der Tagesordnung Ihrer Tagung
steht, muss ich einige Anmerkungen
machen. Vielleicht nähern wir uns
dem angesprochenen Zusammenhang am
ehesten, wenn wir die Diskussion um
Qualitätssicherung auf ihre positiven
und kritischen Aspekte abklopfen.
a)
Positive Aspekte
·
Leistungen transparent
machen
Vorgegebenes
Ziel der Qualitätssicherung ist es,
die Leistungen der jeweiligen Institution
transparent zu machen. Im Gegensatz
zur Familie steht die Kindergartenerziehung
im öffentlichen Raum, von dort her
erhält sie ihren Auftrag, und sie
wird aus Steuermitteln und Eigenanteilen
der Kindergartenträger finanziert,
und sie unterliegt gesetzlichen Regelungen.
So sehr die einzelne Erzieherin ihre
individuellen Beziehungen zu den einzelnen
Kindern auch als Privatangelegenheit
empfinden mag, so sehr ist die gesellschaftliche
Vermittlung zu sehen.
Im
Vergleich zu allen anderen Jugendhilfebereichen
ist der Kindergarten dabei eine Massenveranstaltung.
Ich möchte dies an ein paar Zahlen
aus dem Jahr 1994 aufweisen. Am Ende
dieses Jahres gab es in ca. 46.000
Einrichtungen ungefähr 3 Millionen
Plätze für Kinder, für die etwas mehr
als 360.000 Mitarbeiter eingestellt
waren. Staatliche
Stellen gaben in diesem Jahr ca. 33
Mrd. DM für den Bereich der Jugendhilfe
insgesamt aus, von denen ca. 20 Mrd.
DM auf die Tageseinrichtungen und
die Tagespflege entfielen. 6
von 10 DM in der Jugendhilfe wurden
also allein für den Bereich Tageseinrichtungen
für Kinder und Tagespflege ausgegeben. Die tatsächlichen
Kosten für den Kindergartenbereich
sind noch höher, da die Ausgaben der
freien Träger in der öffentlichen
Finanzstatistik nicht enthalten sind.
Wie
andere Bereiche der öffentlichen Verwaltung
und Dienstleistung steht auch der
Kindergarten vor der Verpflichtung,
seine Leistungen transparent zu machen
und auch unter Kostengesichtspunkten
nachzuweisen, dass die Investitionen
in diesem Bereich notwendig sind und
dass Mitteleinsatz und Ertrag in einem
richtigen Verhältnis stehen. In dem
Prozess der Qualitätssicherung soll
deshalb nachgewiesen werden, was in
den Kindergärten geschieht, welche
Leistungen von ihnen erbracht werden
und in welchem Verhältnis Aufwand
und Ertrag stehen.
·
Angebote flexibilisieren
Auf
Grund des Rechtsanspruches auf einen
Kindergartenplatz, der durch die lange
Geschichte der Reform des § 218 in
das Kinder- und Jugendhilfe-Gesetz
eingeführt wurde, wurden die Kapazitäten
im Kindergartenbereich in den 90er
Jahren erneut ausgedehnt. Ende 1994
haben wir in Baden-Württemberg bezogen
auf die 3 bis 6 ½ jährigen Kinder
eine Versorgungsquote von 92,4 % gehabt. Damit nahm
Ihr Bundesland, das traditionell eine
gute Kindergartenversorgung hatte,
die Spitzenposition aller westlichen
Bundesländer ein. Gleichzeitig gehört
Baden-Württemberg aber auch zu den
Schlusslichtern, wenn es um institutionelle
Betreuung anderer Altersgruppen geht.
Ende 1994 gab es hier für 1,2 % aller
0- bis 3-jährigen einen Platz in einer
Tageseinrichtung für Kinder, und bei
den 6- bis 12-jährigen lautete der
Prozentsatz 1,9 %.
Qualitätssicherung
will die Einrichtungen vorbereiten
auf die Situation eines kommenden
Wettbewerbs. In Zeiten einer sehr
defizitären Ausstattung mit Kindergartenplätzen
wurde jede Einrichtung, ob gut oder
weniger gut, nachgefragt; in den absehbaren
Zeiten der Konkurrenz wird dies anders
aussehen. Die Machtposition der Eltern
steigt. In dieser Situation sind die
Einrichtungen im Vorteil, die relativ
rasch in der Lage sind, auf konkrete
Veränderungen der Nachfrage seitens
der Eltern zu reagieren. Dies betrifft
unterschiedliche Öffnungszeiten für
Kindergartenkinder und auch die Schaffung
von Plätzen für jüngere und ältere
Kinder. M.E. kommt es hier darauf
an, relativ rasch, also binnen Jahresfrist,
flexibel reagieren zu können, und
es ist wichtig, außerhalb starrer
institutioneller Gleise des Alles
(Krippen- bzw. Hortplatz) oder Nichts
(kein entsprechender Platz) denken
zu können.
·
Rollen klären
Ich
möchte Ihnen gern noch knapp einen
dritten Vorteil des Prozesses der
Qualitätssicherung nennen, der mir
gerade für die Kindergärten als wichtig
erscheint. Diese sind normalerweise
und zum Glück kleine
Einheiten, in denen sich, was die
Erwachsenenebene angeht, nicht eine
anonyme Masse begegnet, sondern in
denen eine überschaubare Gruppe von
Menschen relativ dicht miteinander
kommuniziert. Dies gilt für die sechs
oder zehn Kolleginnen, die sich in
ihren Arbeitshandlungen gegenseitig
häufig beobachten; dies gilt für die
Beziehung zum Träger, der beispielsweise
als Pfarrer seine Wohnung auf dem
gleichen Gelände hat, auf dem auch
der Kindergarten sich befindet; und
dies gilt häufig auch für die Eltern,
auf die man auch beim Einkaufen oder
im Sportverein wieder stößt.
Diese
dichte Kommunikationssituation schafft
Vorteile, aber sie stellt insbesondere
für die Erzieherinnen auch einen immensen
Stressfaktor da. Dieser bewirkt, dass
Störungen auf der Beziehungsebene
der Erwachsenen in den meisten Einrichtungen
sicherlich ein größeres Problem als
die pädagogisch-konzeptionellen Fragen
im Umgang mit den Kindern darstellen.
Durch einen Prozess der Qualitätssicherung
kann es nun gelingen, ein wenig mehr
Klarheit in die Rechte und Pflichten
der jeweiligen Erwachsenengruppe zu
bekommen. Wechselseitige Erwartungen
werden dann auf ein realistisches
Maß zurückgeschraubt, und die Aufgaben-
und Verantwortungsbereiche werden
spezifiziert. Wenn Sie Glück haben,
kann durch diese Bewusstwerdung der
Rollen ein wenig Sprengkraft aus den
schwelenden gruppendynamischen Konflikten
genommen werden.
b)
Kritische Aspekte
Ich
habe Ihnen ohne Anspruch auf
Vollständigkeit Vorteile der
gegenwärtigen Debatte um Qualitätssicherung
genannt, doch ich will auch meine
Bedenken nicht zurückhalten. Diese
beziehen sich auf ein allgemeines
Unbehagen: Durch den Zusammenbruch
des Kommunismus in den osteuropäischen
Staaten herrscht ein ungebremster
Kapitalismus, der sich auf zunehmend
mehr Bereiche des Lebens bezieht und
auch die Jugendhilfe erfasst hat.
Alles wird in Begriffen von Angebot
und Nachfrage, von zahlungskräftigen
Kunden und Gewinnmaximierung von Anbietern
gedacht, und ich finde, dass der Einzug
dieses kapitalistischen Denkens im
Bereich der Erziehung viele Verlierer
und Nachteile mit sich bringt. Doch
dieses grundlegende Missbehagen will
ich hier nicht näher ausbreiten, sondern
ich will Ihre Aufmerksamkeit auf drei
konkretere Aspekte des Prozesses der
Qualitätssicherung lenken.
·
Qualität und Wirtschaftlichkeit
Der
erste bezieht sich auf die irreführende
Bezeichnung des Begriffes Qualität .
Schaut man sich die Berichte an, so
stößt man gleich zu Beginn auf die
Zielsetzung Wirtschaftlichkeit .
Die desolate Situation der öffentlichen
Haushalte zwingt zu Einsparungen,
hinzu kommt die politisch gewollte
Notwendigkeit, Spielräume für Steuersenkungen
zu schaffen. Lässt sich Wirtschaftlichkeit
aber mit einem mehr an Qualität
vereinbaren? Kann man weniger Geld
für den Kindergarten ausgeben und
gleichzeitig dessen Leistungen steigern?
Dies
würde bedeuten, dass bislang unnötig
Geld verpulvert worden sei, das sich
nun problemlos einsparen ließe. Sicherlich
gibt es solche unproduktiven Nischen
in jedem Arbeitsfeld, doch ich bezweifle
für den Kindergartenbereich, dass
sich auf diese Weise nennenswerte
Summen auffinden lassen. Einsparungen
werden zwangsläufig mit einer Minderung
der Qualität einhergehen. Darüber
hinaus geht das implizite Menschenbild
der Qualitätssicherungsmodelle an
der Realität vorbei: nämlich zu glauben,
durch ein Mehr an Kontrolle und verwaltungsmäßigem
Handeln die Leistungsfähigkeit von
Menschen verbessern zu können. Es
gibt engagierte, kompetente Erzieherinnen
ebenso wie faule und unfähige. Dies
ist kein Spezifikum der Erzieherberufe,
sondern es gilt ebenso für Bäcker,
Frisösen und auch Politiker. Und:
dies war in der Vergangenheit so,
und es wird auch in der Zukunft so
sein. Keine Erzieherin wird begeisterter
für ihren Beruf und sensibler im Umgang
mit Kindern, nur weil Qualitätssicherung
auf der Tagesordnung steht.
·
Rettungsring aus Beton
Qualitätssicherungsmodelle
unterliegen einem fatalen Zirkelschluss:
Qualität ist das, was die Qualitätssicherung
misst. In einer Diplomarbeit habe
ich das Gedankenexperiment gelesen,
jemand entwickele, konstruiere, produziere
und vertreibe einen Rettungsring aus
Beton. Wenn er diesen Prozess entsprechend
seiner Zielvorgaben realisiert, dann
kann er sich dies schließlich auch
durch den TÜV zertifizieren lassen.
Nur: was ist die Qualität eines Rettungsrings
aus Beton. In einem anderen Beispiel habe ich
gelesen, ein Staubsaugerunternehmer
könne sich die Entwicklung eines Produktes
zum Ziel setzen, das genau nach zwei
Jahren zu Bruch geht. Qualität wäre
dann der Staubsauger, der nach diesem
kurzen Zeitraum seinen Geist aufgibt
bescheinigt durch ein Zertifikat.
Sie
mögen diese Beispiele für abwegige
Spielereien halten, doch vielleicht
drückt sich in ihnen eine berechtigte
Sorge aus. Vielleicht werden wir in
der Zukunft Kindergärten mit hoher
Qualität bekommen bestätigt
von den engagierten Eltern, die diesem
Kindergarten ebenso gute Noten geben
wie die scheinbar unabhängigen Prüfer.
Doch wer sind die Verlierer? Sicherlich
gerade die sozial benachteiligten
Familien, die sich im Konzert der
Kunden nicht hinreichend
zu Wort melden können! Wenn ich unter
den Bedingungen von Qualitätssicherung
in einem Kindergarten arbeiten müsste,
würde ich mich auch um die bewertungsrelevanten
guten Bürger bemühen. Was zählen da
die Stimmen einer kurdischen Asylantenfamilie
oder einer Mutter aus der Obdachlosensiedlung?
·
Einheitsbrei
Mein
dritter kritischer Punkt betrifft
die Vereinheitlichung von Kindergärten
durch den Prozess der Zertifizierung.
Wenn Sie den Anstoß der Qualitätssicherung
zu Ende denken, ist es konsequent,
der Forderung nach unabhängigen Bewertern
zuzustimmen. M.E. zeichnet es gute
Kindergartenqualität aus, dass die
Einrichtungen eine große Bandbreite
unterschiedlicher Konzepte realisieren.
Die jeweiligen Persönlichkeiten der
Erzieherinnen, die Unterschiedlichkeit
der Kinder und die spezifischen Situationen
ihrer Familien sollten es mit sich
bringen, dass Kindergärten sehr unterschiedlich
sind. Die Forderungen nach Qualitätssicherung
bedingen dagegen den Zwang einer stärkeren
Normierung. Wenn ich weiß, dass ich
die Note ausgezeichnet
bekomme, wenn ich mich so und so verhalte,
dann entspreche ich dieser Norm, zumindest
dann, wenn außenstehende Bewerter
kommen.
Aber
wird dadurch Qualität gemessen? Dass
ich nichts anderes, als wenn Sie eine
Kerze unter das Thermometer halten,
und sich erfreuen, dass es ansteigt.
Nur frieren werden Sie trotzdem, auch
wenn das Thermometer Ihnen eine angenehme
Wärme verspricht. Dies entspricht
der Situation bei der Zertifizierung:
Wenn Sie sich bei Anwesenheit des
Prüfers entsprechend den vorgegebenen
Normen verhalten Ihre Fachberaterin
oder Ihr Fachberater werden Ihnen
gern dabei behilflich sein
dann können Sie anschließend sich
geben, wie Sie wollen, eine gute Qualität
ist Ihnen sicher.
Lassen
Sie mich diesen Punkt abschließend
noch eine Geschichte erzählen: Ich
habe vor einiger Zeit die Konzeption
einer Kindergarteneinrichtung über
ihr Total Quality Management
bekommen. Der beiliegende
Brief berichtete von dem letzten Audit ,
also der außenstehenden Beurteilung.
Er war in einer Sprache abgefasst,
die mich an die biblischen Geschichten
erinnerte, als der Heilige Geist über
die Jünger Jesu kam. Stolz konnte
eine Urkunde präsentiert werden. Doch
schon der erste Blick auf die Konzeption
verriet, dass hier längst überholte
Standards der pädagogischen Arbeit
zu Grunde gelegt waren: Wie in einem
strengen Stundenplan war der Tagesablauf
der Kinder mit irgend welchen Aktivitäten
verplant. Die Prüfer haben eher einen
Rettungsring aus Beton bewertet, aber
nicht eine lebendige Kindergartenarbeit,
die den Kindern gut tut.
c)
Vorrang der Konzeption
Ich
habe Ihnen einige meiner Gedanken
zur aktuellen Debatte um Qualitätssicherung
vorgetragen, um Sie für einen Punkt
zu sensibilisieren. Wenn Sie derartige
Verfahren einsetzen wollen oder einsetzen
müssen, so bedarf es vorher
einer ausführlichen Debatte um konzeptionelle
Fragen. Sie müssen wissen, was Sie
wollen, um nicht in nutzlosen organisatorischen
Spielereien unterzugehen oder Ihre
Einrichtung in einer Weise zu verändern,
wie Sie es nicht wollen und wie es
auch der Aufgabenstellung des Kindergartens
nicht angemessen ist.
Die
Debatte um Qualitätssicherung mag
Sie veranlassen, sich um konzeptionelle
Fragen zu kümmern dann finde
ich sie hilfreich. Aber Sie müssen
einen Standort in diesen Punkten haben,
wenn Sie nicht eine Einrichtung haben
wollen, die zwar zertifiziert, aber
an den pädagogischen Bedürfnissen
der Kinder und ihrer Familien vorbeigeht.
Ich werde Ihnen im dritten Teil meines
Vortrags deshalb meine kindzentrierte
Kindergartenarbeit als eine Konzeption
darstellen, von der ich glaube, dass
sie auf wichtige pädagogische Fragen
eine Antwort gibt. Die Thesen seien
der Diskussion in Ihrem Kreis anheim
gegeben.
3.
Kindergartenkonzepte
a)
Der gegenwärtige Konzeptionsdschungel
Die
Konzeptionslandschaft der Kindergartenpädagogik
ist bunt. Nennen wir einige Stichworte;
·
Genannt werden muss
zu erst der Situationsansatz,
die wohl verbreiteste und am stärksten
propagierte Konzeption, ernst zu nehmen,
wenn sie nicht gerade in ihrer verwässerten
Form des Situationsorientierten
Ansatzes in der sozialpädagogischen
Praxis daherkommt. In gesellschaftlich
bestimmten Situationen ihres gegenwärtigen
Lebens sollen Kinder hier lernen,
um ein Mehr an Autonomie, Solidarität
und Kompetenz zu erwerben.
·
In der Praxis erfreut
sich teilweise der offene Kindergarten
großer Beliebtheit. In ihm wird das
traditionelle Gruppenprinzip zu Gunsten
von Stammgruppen sehr weit aufgelöst,
und die Räumlichkeiten werden in Angebotszonen
für die Aktivitäten des Bauens und
Rollenspiels, der Bewegung und Kreativität
umgewandelt.
·
Erwähnt sei auch der
spielzeugfreie Kindergarten,
der von dem Gedanken der Suchtprävention
ausgehend das normierte Spielzeug
aus den Kindergärten verbannen will,
um im Umgang mit natürlichen Materialien
der Kreativität wieder Raum zu geben.
·
Der
Wald- oder Naturkindergarten
verlässt vollständig das Gemäuer des
Kindergartens und findet in der freien
Natur, ergänzt durch eine Waldarbeiterbaracke,
sein zu Hause.
·
Schließlich sei noch
der Bewegungskindergarten genannt,
der von der Psychomotorik ausgehend
den Sitzkindergarten
aufheben will, um dem natürlichen
Bewegungsbedürfnis der Kinder Ausdrucksmöglichkeiten
zu geben.
Zu
diesen Ansätzen kommen noch die aus
der Reformpädagogik stammenden Konzeptionen,
also vor allem die Montessori- und
Waldorfkindergärten. In gewissem Sinne
kann man auch die Reggio-Pädagogik
hinzu zählen.
·
Positives
Für
die Veranstalter Ihrer Tagung soll
es ein Ziel des heutigen Tages sein,
den konzeptionellen Dschungel ein
wenig zu lichten, um Wege zur eigenen
Konzeption zu finden. Die oben skizzierten
Ansätze zeichnen sich durch jeweils
unterschiedliche Gedanken aus, deren
Sinn m.E. nach nicht zu bestreiten
ist.
·
Kinderleben wird in
unserer Zeit durch einen rasanten
gesellschaftlichen Wandel bestimmt
(nehmen Sie nur die Überfülle von
Fernsehprogrammen, den Computer, das
Internet), auf die der Kindergarten
reagieren muss.
·
Es macht keinen Sinn,
Kinder in Gruppenräume einzusperren
und die Fiktion einer 25-Kinder-Gemeinschaft
aufrechtzuerhalten, und konzeptionell
ist es auch meiner Meinung nach für
den Kindergarten richtig, nicht die
einzelne Gruppe als Ausgangspunkt
zu wählen, sondern das gesamte Kindergartengebäude
und das Außengelände als jederzeit
frei wählbaren Spielort zu betrachten.
·
Für viele Kinder ist
das Spielzimmer zu Hause überladen
und auch für den Kindergarten gilt,
dass viele Spielgegenstände, die wir
dort finden, überflüssig sind und
einen Spielzugang der Kinder eher
verhindern.
·
Der Wald ist ein herrlicher
Spiel- und Erfahrungsort für Kinder.
Er lässt Aktivitäten zu, die in den
verbauten Einrichtungen verhindert
werden, und jeder Kindergarten sollte
möglichst viel Zeit einplanen, um
in die freie Natur zu gelangen.
·
Bewegung ist ein Grundbedürfnis
von Kindern im Kindergartenalter.
Wir können sie nicht mit Papier-und-Bleistift-Aktivitäten
wie in der Schule abspeisen. Das wusste
vor der Psychomotorik schon Maria
Montessori: Um denken und fühlen zu
können, muss das Kind seinen Körper,
seine Beine und Arme, Füße und Hände
gebrauchen können.
·
Kritisches
Die
Sinnhaftigkeit der einzelnen Ansätze
will ich nicht bestreiten, wohl aber
ihre Berechtigung, für das Ganze des
Kindergartens zu stehen. Ich möchte
Ihnen diesen Gedanken an einem extremen
Beispiel verdeutlichen. Nehmen wir
an, Sie wären der Meinung, dass unsere
gewöhnliche Art der Ernährung umweltzerstörerisch
und noch mehr gesundheitsgefährdend
sei. Vernünftige Argumente dafür lassen
sich viele finden, also halten wir
uns damit nicht auf. Als Ziel ihrer
Kindergartenkonzeption legen Sie deshalb
fest, das Gesundheitsbewusstsein der
Kinder zu fördern. Auch dagegen ließe
sich nichts einwenden. Jetzt planen
Sie entsprechend Ihrer Zielsetzung
die dringend notwendigen Reformmaßnahmen:
vom Zähneputzen nach jeder Mahlzeit
über das gesunde Frühstück und das
Verbot von Süßigkeiten als Geburtstagsmitbringsel
bis zur Reduzierung der Giftbelastung
durch falsches Baumaterial und Putzutensilien.
Sicherlich gibt es auch noch Bilderbücher,
Geschichten und Lieder zu dem Thema,
und der religionspädagogische Bezug
sollte kein Problem darstellen. Wenn
Sie nun Ihr Konzept fertig haben und
entsprechende Werbung machen
wichtig ist heut zu Tage die eigene
Homepage im Internet -, garantiere
ich Ihnen einen belobigenden Beitrag
im Gesundheitsmagazin Praxis
des ZDF.
Ich
will das jetzt nicht weiter karikieren.
Mir geht es um das Prinzip: Irgend
eine, sicherlich richtige, Idee wird
für das Gesamt der Kindergartenpädagogik
genommen, und dadurch wird auch der
ursprünglich richtige Gedanke in Misskredit
gebracht. Stellen Sie sich vor, Sie
liefen als Gesundheitsapostel durch
den Kindergarten; durch Ihre Brille
würden Sie überall nur Gifte sehen,
und in Ihren Alpträumen erschiene
Thomas Gottschalk, der Ihnen ein Gummibärchen
in den Mund zwingt.
Noch
etwas weiteres stört mich an vielen
Konzeptionen. Sie tun so, als hätten
sie das Rad des Kindergartens neu
erfunden. Jede kleine Veränderung
muss, um Gehör zu finden, mit einem
Neuigkeitsversprechen aufwarten, das
faktisch nicht erfüllt werden kann.
Es wäre nicht schwer, für alle angedeuteten
Kindergartenkonzeptionen nachzuweisen,
dass viele ihrer Ideen bereits der
alte Friedrich Fröbel vorgedacht hat.
In
meinen Augen muss eine übergreifende
Kindergartenkonzeption zwei Bezugspunkte
gleichzeitig aufweisen: Einerseits
hat sie an die Realität gegenwärtiger
Kindergartenpraxis in den fast 50-Tausend
Einrichtungen mit ihren bald 400-Tausend
Mitarbeiterinnen anzuknüpfen, und
sie muss zum anderen eine wünschenswerte
Veränderungsperspektive aufzeigen.
Dieser doppelte Anspruch (Berücksichtigung
der gegenwärtigen Praxis und Aufzeigen
zukünftiger Veränderungsperspektiven)
gilt auch für meinen Vortrag: Wenn
ich nicht anknüpfen würde an Ihre
tagtägliche Praxis, dann würden Sie
sich in dem Gesagten nicht wiederfinden;
wenn ich andererseits alles so sagte,
wie Sie es kennen, dann würden Sie
vor Langeweile einschlafen. Und dieser
doppelte Anspruch gilt auch für die
Erstellung einer Konzeption für Ihre
eigene Einrichtung. Diese muss anknüpfen
an das, was gegenwärtige Praxis ist,
um für alle Beteiligten einen gemeinsamen
Bezugspunkt herzustellen, aber sie
muss auch darüber hinaus gehen, um
aufzuweisen, welche Aspekte wie und
mit welcher Begründung einer Veränderung
unterzogen werden sollen.
b)
Kindzentrierte Kindergartenarbeit
Damit
käme ich nun zu meiner eigenen Position.
Diese kann ich heute nicht darstellen,
und ich verweise deshalb auf mein
Kindergartenbuch und auf
eine Reihe von Aufsätzen, die ich
zu dem Thema geschrieben habe.
·
Mittelpunkt: Das Kind
Ich
gehe davon aus, dass jede Kindergartenkonzeption
einen (und nur einen) zentralen Bezugspunkt
hat. Er ist der Kerngedanke, aus dem
die Vielfalt der pädagogischen Ideen
und praktischen Ratschläge kommen.
Für meine Konzeption ist dieser Mittelpunkt:
das Kind, und deshalb nenne ich sie
kindzentrierte Kindergartenarbeit .
Nun
werden Sie einwenden, dies sei nichts
besonders, jede Pädagogik habe es
schließlich mit dem Kind zu tun. Dass
es in jeder Konzeption irgendwie um
das Kind geht, das glaube ich wohl.
Doch zumeist erscheint es als eine
Randbedingung, schließlich will man
sein Programm an das Kind bringen.
Im Mittelpunkt steht dann etwas anderes:
der Wald, die Suchtprävention, die
Offenheit (für was eigentlich?), die
gesellschaftlich vermittelte Situation.
Im Übereifer der weitergehenden Zielvorstellungen
gerät das Kind häufig aus dem Blickfeld.
Lesen Sie die diversen didaktischen
Einheiten und Materialien, und fragen
Sie sich: Wo ist da dies konkrete
Kind, das ich Tag für Tag vor mir
habe; warum ist für dieses Kind ausgerechnet
dieses didaktische Ansinnen lebenswichtig,
wo bleiben die Fröhlichkeit und die
Spontaneität, die Traurigkeit und
die Banalität dieses Kindes?
Ich
will noch eine weitere Erklärung einschieben.
Im Mittelpunkt meiner Konzeption stehen
nicht die Kinder und nicht die Kindheit.
Kinder im Plural lassen sich durch
entwicklungspsychologische Konstrukte
einfangen, so wie sich die Kindheit
mit Hilfe der Sozialisationstheorie
genauer beschreiben lässt. Beide,
Entwicklungspsychologie und Sozialisationstheorie,
halte ich für ausgesprochen wichtig,
um sich der Realität von Kindern anzunähern.
Aber in beiden liegt für mich nicht
der zentrale Bezugspunkt. Pädagogisch
gesehen erscheint mir vordringlich
der Blick auf das einzelne Kind. In
der Erziehung geht es um das Leben
des konkreten Kindes, das ein Anrecht
darauf hat, eine Perspektive für sein
werdendes Ich zu bekommen. Jedes einzelne
Kind, so wie es ist und so wie es
sein kann, bildet für mich den Mittelpunkt
des Kindergartens.
So
wie ich die Individualität des einzelnen
Kindes betone, so ist mir die individuelle
Beziehungsgestaltung jeder Erzieherin
zu jedem ihrer Kinder wichtig. Wenn
Sie 25 Kinder in Ihrer Gruppe haben,
so benötigt jedes dieser Kinder etwas
anderes von Ihnen, aber jedes ist
angewiesen auf ein Stück Ihrer Lebendigkeit,
und Sie werden dafür bezahlt, ihm
das von Ihnen zu geben, dessen es
bedarf. Maria Montessori spricht von
der Erzieherin als Material ,
das das Kind nimmt, solange es seiner
bedarf, und das es wieder zurück stellt,
wenn es etwas anderes benötigt. Sie sollen
Ihre Liebe dem Kind nicht andienen,
sondern sie ihm selbstverständlich
geben, wenn das Kind sie will.
Ich
komme noch einmal auf den Begriff
Kindergartenqualität
zurück. Ein Kindergarten ist dann
ein guter Kindergarten, wenn jedes
Kind in ihm zumindest eine Mitarbeiterin
findet, die sich auf eine einmalige
Beziehungsgestaltung mit ihm einlassen
kann, eine Erzieherin, die das Kind
liebt, wie es ist und nicht wie es
sein soll, und die sich ihm so zur
Verfügung stellt, wie das Kind es
benötigt. Bei 25 Kindern sind dies
25 verschiedene Wege der Beziehung:
25 verschiedene Händedrucke, 25 verschiedene
Blicke, 25 verschiedene Körperhaltungen
und 25 verschiedene Sprechweisen.
Neben der Individualität der einzelnen
Kinder betone ich deshalb die Individualität
der einzelnen Erzieherin. Diese soll
den Kindern nicht als normierte Rollenvertreterin
begegnen, sondern als Mensch aus Fleisch
und Blut, mit Kopf, Herz und Hand.
Deshalb ist mir die Unterschiedlichkeit
und Vielfältigkeit der Kindergärten
wichtig. Die kindzentrierte Kindergartenarbeit
soll die Konzeption und Praxis der
Einrichtungen nicht vor- und festschreiben,
sondern deren Buntheit befördern.
·
Drei Aspekte
Jede
pädagogische Konzeption enthält bewusst
oder unbewusst ein Bild von dem Kind.
Dies gilt erst recht, wenn ich von
einer kindzentrierten Kindergartenarbeit
spreche. Mit Bezug auf die Geschichte
der Pädagogik möchte ich Ihnen drei
Aspekte des Kinderbildes vorstellen,
die für mich wichtig sind.
1.
Das Kind ist ein Mensch in
der Entwicklung. In der Bibel steht:
Ein jegliches hat seine Zeit,
und alles Vorhaben unter dem Himmel
hat seine Stunde. . Und von
Jean Jacques Rousseau können wir den
Gedanken der Entwicklungspädagogik
lernen: Jedes erzieherische Handeln
hat seinen Bezugspunkt in der qualitativen
Andersartigkeit der einzelnen Entwicklungsstufen.
Für das Kindergartenkind heißt dies:
Es muss sicheren Boden unter seinen
wackeligen Füßen erfahren können.
Dies gilt in kognitiver wie in gefühlsmäßiger
Hinsicht gleichermaßen. Die Dreijährigen,
die zu Ihnen in den Kindergarten kommen,
sind so zerbrechlich, die Welt ist
so riesig, dass sie ihren Kopf sprengen
könnte, und die Ungewissheit, was
in ihren verbleibenden 80 Lebensjahren
auf sie zukommen mag, ist so groß.
Ein Kind kann im Kindergarten lernen,
fest auf den eigenen Füssen zu stehen;
und wenn es Glück hat, wird es einen
Vorrat an Optimismus, an Lachen und
Fröhlichkeit mitnehmen. Den wird es
brauchen, weil die Zukunft noch viele
Enttäuschungen bereit haben wird.
2.
Das Kindergartenkind ist ein
Spielkind. Friedrich Fröbel, der Begründer
des Kindergartens, sagt, dass es in
diesem Alter vorwiegend nicht darum
geht, die Welt von Außen in den Kinderkopf
zu holen dies war bei dem
Säugling so, und es wird bei dem Schulkind
wieder so sein. Vorwaltend muss im
Kindergartenalter Inneres Äußerlich
gemacht werden. Der kleine
Kinderkopf ist angefüllt mit ersten
Entwürfen des eigenen Selbst und mit
Vorstellungen von der nahen und weiten
Welt. Diese müssen nach außen dargestellt
werden in Bildern, in Liedern,
im Sprechen und vor allem im freien
Symbolspiel -, damit sie dem Kind
langsam bewusst werden, damit sie
zu Vorstellungen über das eigene Selbst,
die Familie und die Umwelt werden,
auf die sich die weitere Entwicklung
aufbauen lässt. Das Symbolspiel ist
die Sprache des Kindes, nicht die
der Erwachsenen oder der Umwelt, und
es ist vordringlich, dass das Kindergartenkind
sprachfähig wird, damit sein Kopf
nicht überquillt vor unaussprechbaren
Phantasien. Kindergartenpädagogik
ist deshalb vor allem Spielpädagogik.
Sie fragt nach den materiellen, räumlichen,
zeitlichen und persönlichen Hilfestellungen,
die eine Erzieherin im Kindergarten
geben kann, damit jedes Kind zu seinem
Spiel findet.
3.
Das Kind ist ein konzentrierter
Arbeiter, beschäftigt mit dem Aufbau
seiner eigenen Person: Diesen Gedanken
können wir von Maria Montessori lernen. Kinder müssen
nicht mit irgend etwas beschäftigt,
mit unnutzem Spielkram bei Laune gehalten,
vor dem Fernseher ruhig gestellt werden.
Sie haben nicht ihre Zeit totzuschlagen,
sondern sie brauchen jede Minute ihrer
Aktivität, um Wichtiges zu vollbringen:
das eigene Selbst aufzubauen. Kinder
müssen nicht motiviert werden, sondern
sie haben eine starke Entwicklungskraft
in sich selbst. Wir müssen uns hüten,
diese zu zerstören, indem wir meinen,
durch Erziehung etwas schaffen, aufbauen
zu können, was nur das Kind selbst
vollbringen kann. Wir Erwachsenen,
und dies betont Maria Montessori immer
wieder, sind zu unsensibel, wir sehen
nicht das Wunder der
Entwicklung, das nur das Kind selbst
tun kann, und wir versuchen deshalb,
uns an die Stelle der kindlichen Entwicklungskraft
zu setzen und zerstören diese dadurch.
Eine wichtige pädagogische Schlussfolgerung
aus diesem Kinderbild lautet: Das
erste, was ein Kind benötigt, ist
Freiheit, die Freiheit zu seiner ihm
möglichen Entwicklung. Und die Erzieherin
muss Vertrauen lernen, Vertrauen in
das Kind.
4.
Abschluss
Meine
lieben Zuhörerinnen und Zuhörer! Ihre
Geduld wird erschöpft sein, und ich
muss zum Schluss meines Vortrags kommen.
Ich tue dies, indem ich Ihnen eine
Passage einer Konzeption für das Kindergartenalter
vorlese, die der wichtigste Pädagoge,
Johann Heinrich Pestalozzi, vor jetzt
bald 200 Jahren geschrieben hat. Er
richtete sie noch nicht an die Erzieherin
im Kindergarten, den gab es damals
noch nicht, sondern er schrieb sie
für die Mutter.
Mutter!
wenn dir dein Kind lieb ist, so hüte
seinem Lachen und der heiligen Quelle
desselben - seinem Frohsinn! Ach,
du kannst ihn ihm so leicht, du kannst
ihn ihm hundertmal, ohne dass du daran
denkst, untergraben und zu Grunde
richten, du kannst ihn ihm mit Zucker
und Kaffee, mit Flaumfedern, mit Stillsitzen,
mit Schulmeisterelendigkeiten und
mit tausend dummen Treibhauskünsten
des Kopfes und des Herzens untergraben
und unwiederbringlich zu Grunde richten.
Frische Luft, Milch und Habermus,
Springen, Laufen, Arbeiten, seine
Kräfte brauchen, aber alle, alle mit
einander, alle vernünftig, und keine
zuviel, - das ist, Mutter! was deinem
Kinde das Lachen und den frohen Muth
erhalten, das ist, was ihm seine rothen
Backen sichern und machen kann, dass
es diese im zwanzigsten Jahre noch
hat, wie im fünften, und im zwanzigsten
Jahre gerade, aufrecht, unverkrüppelt,
ungebogen, mit gleichen Augen, mit
gleichem Munde und mit gleicher Stirne
vor dir stehen kann, wie es jetzt
im fünften, sechsten vor dir steht
und dir lacht. ...
Erhalte
dieses heilige Lachen! Alles Gute,
was in seiner Natur sich entwickeln,
reifen, sich vollenden und unter sich
selbst in Harmonie kommen soll, wird
bey der Erhaltung und Pflege desselben
weit eher sich entwickeln, weit eher
reifen und durch Harmonie unter sich
selbst weit eher einer reinen menschlichen
Vollendung sich nähern. ...
Gute
Mutter! vergiß es nie: keine, auch
noch so gebildete Vernunft kann deinem
Kinde das Lachen seiner Unschuld wiedergeben,
wenn es dasselbe einmal verlohren.
Aber das volle Leben seines Frohsinns
kann seine Vernunft dahin erheben,
dass sich das Lachen seiner Unschuld
immer erhält, dass es sich noch höher
hebt und in ein Lachen der Weisheit
umwandelt. Mutter! Mutter! es ist
das Salz des Lebens.
Dem
Kind das Lachen erhalten vielleicht
stellen Sie die Konzeption Ihres Kindergartens
unter dieses Motto.