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Sigurd
Hebenstreit
Anfrage
der Zeitschrift Kindergarten
heute :
Wie
sehen Sie die derzeitigen Entwicklungen
im Kindertagesstättenbereich und welche
Bedeutung hat für Sie die professionelle
Kinderbetreuung in der Zukunft?
Es
ist viel erreicht worden. Tagtäglich
können in der Bundesrepublik Deutschland
drei Millionen Kinder fröhlich in ihrem
Kindergarten spielen. Sie finden hier
eine Alltagswelt vor, die ihnen Geborgenheit
gibt, die sie Freunde finden läßt und
die für sie eine Fülle spannender und
befriedigender Erlebnisse bereithält.
Die Eltern der Kinder haben durch den
Kindergarten in ihrem nahen Umfeld eine
Anlaufstelle, die sie aus ihrer Isolation
herausreißt und neue Bekanntschaften
ermöglicht. Behinderte Kinder erhalten
gleichermaßen eine normale Spielwelt
und eine kompetente Förderung. Ausländische
Kinder erlernen die deutsche Sprache
und bekommen einen ersten Zugang zur
Integration. Auffälligkeiten von Kindern,
belastende Familiensituationen bis hin
zur körperlichen Mißhandlung und sexuellen
Ausbeutung können erkannt werden und
nach möglichen Lösungsstrategien wird
im Verbund mit anderen Einrichtungen
gesucht. Insgesamt betrachtet herrscht
weniger Drill, und es überwiegt kindliche
Spontaneität und erzieherische Sensibilität.
Die Fakten dieser Erfolgsbilanz ließen
sich fortführen: Eine große Menge engagierter
Erzieherinnen steht für sie ein.
Doch
es gibt auch die dunkle Seite der Situation
der Kindergärten in unserer Zeit. Bildungspolitisch
sind sie in eine Sackgasse hineingeraten.
Das von den Eltern zu entrichtende Entgelt
ist ein Indiz hierfür. Niemand käme
angesichts der beklagten Ebbe in den
öffentlichen Haushalten auf die Idee,
das Schulgeld wieder einzuführen; doch
daß die Eltern drei- bis sechsjähriger
Kinder zum Teil erhebliche Beiträge
aufzubringen haben, erscheint normal.
Ein weiteres Indiz: der Buch-, Zeitschriften-
und Fortbildungsmarkt wird beherrscht
von dem Schlagwort der Qualitätskontrolle .
Mit hochgestochenen Vokabeln und aufwendiger
Methodik wird die simple Tatsache verschleiert,
daß mit weniger Geld ein mehr an Leistung
erreicht werden soll. Und ein letztes
Beispiel: Mögen Pädagogen auch Rosinen
im Kopf haben, die konzeptionelle Landschaft
wird beherrscht von dem Schlagwort der
Betreuung . Es geht nicht
um Bildung, um Förderung der geistigen,
gefühlsmäßigen und sozialen Fertigkeiten
der Kinder; und es geht nicht um ihren
Erziehungsanspruch, sich ein Mehr an
Selbstbewußtsein aufbauen zu können,
sondern was gesellschaftlich zählt,
ist die sichere Aufbewahrung von Kindern,
damit sie das Erwachsenenspiel nicht
stören.
Einerseits
eine Erfolgsbilanz und andererseits
Resignation was ist die Konsequenz
für die Zukunft? Ich glaube, was wir
vor allem benötigen ist eine Offensive
von Erzieherinnen, Trägern, Fachberaterinnen,
Eltern für eine Politik im Interesse
von Kindern. Die verantwortlichen Erwachsenen
müssen deutlich hörbar artikulieren,
wie sich die Interessen derjenigen durchsetzen
lassen, die zu schwach sind, sich selbstorganisiert
an dem Spiel zu beteiligen. Dies bedeutet
vordringlich: Wir müssen den Bildungs-
und Erziehungsanspruch jedes Kindes
stärker in das öffentliche Bewußtsein
bringen.
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