[ newsletter ]
Newsletter
Jetzt kostenlos
hier abonnieren:



*

netnovate.de - innovate the internet


 
 
Martin Luther

  Home / Texte / II / Martin Luther

 

Sigurd Hebenstreit

Martin Luther (1483 bis 1546):
„daß der Apfel bei der Rute sei“

Er handelt konsequent und aus prinzipiellen Überlegungen heraus, aber er hält sich den pragmatischen Blick für das politisch Machbare offen; er besitzt einen klaren Glauben an die Allmächtigkeit Gottes, aber er wittert überall den Teufen; er lebt in der Gewissheit eines gnädigen, den Menschen wohlwollenden Gottes, aber er fürchtet sich vor dessen Strafgericht bis hin zum Fegefeuer; er argumentiert für die individuelle Glaubensfreiheit eines jeden Menschen, aber er empfiehlt Eltern die Verstoßung ihrer Kinder, wenn diese den Katechismus nicht lernen wollen; er wird mit seiner Bibelübersetzung sprachbildend für die deutsche Sprache, aber er schreckt auch vor Vulgärausdrücken nicht zurück; mit der Veröffentlichung seiner 95 Thesen wird er schnell zu einem deutschen Volkshelden, aber er läuft wegen seiner Stellungnahmen zum Bauernkrieg kurze Zeit später Gefahr, das Kapital wieder zu verspielen; er fordert Schulbildung für Jungen und Mädchen gleichermaßen, aber er hält Klugheit und Beredsamkeit für Eigenschaften, die Frauen übel anstehen; er wird noch zu Lebzeiten zu einer deutschen, dann europäischen Gestalt, aber seinen sächsisch-thüringischen Lebensraum verlässt er nur selten.

Jeder Mensch hat seine emotionalen Schwankungen, intellektuellen Widersprüche und glaubensmäßigen Zweifel. Martin Luther stellt in dieser Hinsicht nichts besonderes dar, wenngleich man in seiner Person die menschlichen Spannungen gut studieren kann. Hinzu kommt, dass er in einer Zeit lebt, in der alle Lebensbereiche einem grundsätzlichen Wandel unterliegen. Von Geburt und Erziehung her ist er ein Mann des Mittelalters, und auch nachdem er eine wichtige Säule dieser alten Lebenswelt zerbrochen hat, hält er an mittelalterlichen Überzeugungen fest und fühlt wohl auch in mittelalterlich-irrationalen Bahnen. Aber das ist die spannende Frage: warum wird ausgerechnet ein Sohn einfacher Leute, warum wird ausgerechnet dieser kleine Mönch Kaiser und Papst herausfordern und nicht nur herausfordern, sondern eine Plattform für eine neue gesellschaftliche Entwicklung schaffen? Für viele der uns heute beschäftigenden politischen, sozialen, ökonomischen, bildungsmäßigen Fragen lohnt es sich, auf Martin Luther zurückzugehen. Dabei ist er nicht der Visionär, der ein detailliertes Bild der gesellschaftlichen Zukunft vor Augen hat, sondern die von ihm aus persönlichen Glaubensüberzeugungen initiierte und mitgestaltete Reformation zerschlägt das gesamte alte Glaubens-, Menschen- und Weltbild und erfordert eine neue Basis in vielen Lebensbereichen. Von der religiösen Neuorientierung aus müssen die Fragen neu gestellt und nach veränderten Antworten gesucht werden. Dies gilt auch für den pädagogischen Bereich - wie zu zeigen sein wird.

a) Biographisches

Am 10. November 1483 wird Martin Luther in Eisleben geboren, einer damals 2000 Einwohner zählenden Kleinstadt. Eisleben ist nicht nur der Ort seines beginnenden Lebens, sondern auch der seines Todes. Erst 62 Jahre später wird er wieder dorthin zurückkehren. Als Martin noch ein kleines Baby ist, zieht die Familie in das nahegelegene Mansfeld, ein Grafenstädtchen, das in seinen Kupferbergwerken Arbeit bietet. Auch Mansfeld wird für den alten Luther nochmals von Bedeutung: hier versucht er kurz vor seinem Tode zwischen den verfeindeten Grafen-Brüdern zu vermitteln - mit Erfolg.

 


·       Der Vater

Prägend ist für Martin Luther die Beziehung zu seinem Vater. Dieser stammt aus einer Bauernfamilie, doch da er den Hof nicht erbt, wird er Bergarbeiter im Kupferbergbau. Später macht er sich in diesem Beruf selbständig, was jedoch nicht mit kapitalistischer Gewinnsucht gleichzusetzen ist. Die Familie ist vielmehr über lange Zeit eher arm, abhängig von den großen Verlagsfirmen und der schwankenden Konjunktur des Kupferabsatzes. Hart sind die Erziehungsmethoden in der Familie; der alte Luther berichtet von Schlägen, die selbst bei Kleinigkeiten so heftig waren, dass das Blut floss. Er selbst gibt deshalb die Empfehlung, mit den Strafen mäßig umzugehen, damit die Kinder nicht so verhärtet würden, dass sie sich von ihren Erziehern abwendeten. Mit seinem Vater muss dies so gewesen sein, wobei der kleine Luther sich danach sehnt, dass es der Vater wieder gut werden lässt. Dieser ist Analphabet, doch er will dem Sohn eine gute Schulbildung vermitteln, am besten ein Studium der Juristerei, weil dies gesicherte Berufsaussichten verspricht. Martin Luther besucht deshalb die örtliche Klosterschule und ab seinem 15. Lebensjahr - entfernt von den Eltern - die Schulinstitute in Magdeburg und Eisenach. Dann beginnt er sein Grundstudium in Erfurt, das er im 22. Lebensjahr mit der Prüfung als Magister artium abschließt. Jetzt erst kann das Fachstudium beginnen und Martin Luther studiert, entsprechend väterlichem Beschluss, Jura, ein Vorhaben jedoch, das er nach kurzer Zeit abbricht. Über seine Entscheidung, ins Kloster einzutreten, entzweit sich die Beziehung zu dem Vater, der dies als Verweigerung des kindlichen Gehorsams vor den Eltern - von Gott geboten - ansieht. An einer Stelle schreibt Martin Luther rückblickend, daß sein Klostereintritt durch die Flucht vor der Strenge des Vaters motiviert gewesen sei. Erst als er aus religiösen Gründen mit dem Klosterleben bricht, nähern sich Vater und Sohn wieder an. Als der 42-jährige Martin heiratet, gibt er als einen der Gründe dieses Schrittes den Wunsch seines Vaters nach Enkelkindern an, ein nicht uninteressantes Datum für einen Mann, der dem Kaiser und Papst in direkter Konfrontation widerstanden hat, und der im Gegensatz zu dem Mansfelder Bergmann europaweit bekannt ist. Als sein Vater stirbt - Martin Luther ist 46 Jahre alt - spürt er seine Trauer und gedenkt „der überaus herzlichen Liebe“, durch die er das geworden sei, was er ist, aber er spricht auch davon, dass es „billig und gottgefällig“ sei, den toten Vater zu betrauern. (Luther, 1521, S. 303)

·       Religiöse Krise

1483

10. Nov.: Geburt Luthers in Eisleben

1497

Besuch der Schule in Magdeburg

1498

Besuch der Schule in Eisenach

1501

Studienbeginn in Erfurt

1505

Abschluss: Magister artium

17. Juli: Klostereintritt in Erfurt

1507

Beginn des Studiums der Theologie

1511

Versetzung in das Wittenberger Kloster

1512

Promotion zum Doktor der Theologie

Professor für Theologie in Wittenberg

1517

31. 10.: Anschlag der 95 Thesen

1520

Bannandrohung durch den Papst und

deren Verbrennung durch Luther

1521

Endgültige Verhängung des Banns

Vorladung vor den Reichstag in Worms

Reichsacht gegen Luther

Flucht als Junker Jörg auf die Wartburg

1522

Rückkehr nach Wittenberg

1524

Ablegung der Mönchskutte

1525

Eheschließung mit Katharina von Bora

1546

18. Februar: Tod in Eisleben

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Studienanfänger der Jurisprudenz wandert mitten im Semester von Erfurt zum väterlichen Haus nach Mansfeld (Luftlinie immerhin mehr als 70 km). Auf dem Rückweg wird er unweit von Erfurt von einem heftigen Gewitter überrascht, und er ruft in Todesangst: „Hilf du, hl. Anna, ich will Mönch werden“. Dass er die Heilige Anna, die Schutzpatronin der Bergleute, anruft, wirft wiederum einen Blick auf die Beziehung zum Vater. Schon zwei Wochen später tritt Martin Luther in das Augustiner Kloster in Erfurt ein. Er hält sich an die Fraktion, die mit Härte die traditionellen Ordensregeln einhält, er beichtet in geradezu übertriebener Weise und hält die Regeln (z.B. beim Fasten) peinlich ein. Innerhalb des Ordens macht er rasch Karriere: Zwei Jahre nach Klostereintritt beginnt er mit dem Theologiestudium, das er fünf Jahre später mit der Promotion abschließt, und er wird gleichzeitig - in der Zwischenzeit von Erfurt nach Wittenberg versetzt - Professor in der theologischen Fakultät (der Beruf, den er bis zu seinem Lebensende ausführt). Im Wittenberger Kloster wird er schnell Probprior und schließlich Aufseher über zehn Klöster. Doch trotz dieser Karriere und trotz der zwanghaften Befolgung der Rituale findet Martin Luther keine Ruhe. Seine grundlegenden Gewissenskonflikte bleiben. Deshalb wendet er das Rezept des „Mehr von demselben“ an: er steigert  seine Ritualisierungsbemühungen bis zur Selbstverleugnung und ist- kaum von der einen Beichte zurück - wieder bereit zur nächsten. Das Herz findet aber keine Ruhe; mit den Worten Martin Luthers: „Ich aber betrieb die Sache mit Ernst; denn ich hatte furchtbare Angst vor dem jüngsten Tage und begehrte doch von Herzens Grund selig zu werden.“ (Luther, 1545, S. 8) Im Mittelpunkt seiner psychischen Spannung steht dabei die religiöse Frage nach der Gerechtigkeit Gottes. Er „haßte“ den „den Sünder strafenden Gott“ (ebenda, S. 15), denn obwohl er alle religiösen Rituale bis aufs äußerste erfüllt, fühlt er sich als „Sünder“ und deshalb durch Gott gestraft - was hat es da mit der Gerechtigkeit Gottes auf sich? Martin Luther erlebt diese Frage nicht als theologisch-akademische Streitfrage, sondern sie ist Ausdruck dessen, was er tief in seinem Persönlichsten als drängend fühlt. Schließlich kommt es zu einer Lösung des Problems, die Martin Luther als Bekehrungserlebnis beschreibt. Er sieht, dass die Gerechtigkeit Gottes keine „aktive“, sondern eine „passive“ ist. Sind die bisherigen Bemühungen, das Herz durch immer mehr eigene Aktivität zu beruhigen, vergebens gewesen, so sieht er jetzt klar vor Augen, dass es nicht um sein eigenes Tun geht, sondern um ein Gewährenlassen, ein sich Verlassen auf Gott, der „die Sünden vergibt“ und „alle Gebrechen heilt“. Die Folgen dieses Erlebnisses sind zunächst einmal für Martin Luther unmittelbar persönlich spürbar. Mit seinen eigenen Worten: „Nun fühlte ich mich ganz und gar neugeboren: die Tore hatten sich mir aufgetan; ich war in das Paradies selber eingegangen. Da zeigte mir sogleich auch die ganze Heilige Schrift ein anderes Gesicht.“ (ebenda) Sein Herz kann sich beruhigen, weil die eigene Aktivität nicht immer gesteigert werden muss, sondern von solchem Zwang befreit ist. Dass sich für Martin Luther daraus nicht die Konsequenz des passiven sich Fügens ergibt, sondern im Gegenteil die Freiheit einen Aktivitätsschub bewirkt, der jetzt jedoch nicht mehr zwanghaft ist, werden wir später noch hören. In diesem „Bekehrungserlebnis“ liegt der Kern dessen, was die folgende Reformationsgeschichte ausmacht. Benennen wir wenige Stichworte dazu.

·       Reformation

Am 31. 10. 1512 veröffentlicht Martin Luther seine 95 Thesen wider das Ablassunwesen, gedacht als Einladung zur kircheninternen Diskussion. Zu dieser kommt es nicht, doch rasch verbreitet sich der Text - mittels der neu erfundenen Buchdruckerkunst macht die zahlreiche Reproduktion eines Textes keine Schwierigkeit mehr. Die Ablassthesen - noch eine punktuelle und gemäßigte Kritik an der katholischen Kirche - beziehen sich auf das Eintreiben großer Geldsummen, um Kirchenbau und persönlichen Stellenkauf zu finanzieren, wobei den Ablasskunden und deren verstorbenen Angehörigen ein Freikauf von Sündenqualen im Fegefeuer versprochen wird. Der Ablass ist ein offener Skandal einer korrupten Kirche, und dies ist wohl der Grund für die breite Zustimmung, die der Mönch von großen Bevölkerungskreisen erhält. Den Ablass muss Martin Luther aber auch auf Grund seiner neu gewonnenen Glaubenseinsicht grundsätzlich in Zweifel ziehen, d. h. selbst wenn er nicht in so pervertierten Formen aufträte: Vergebung der Sünden, ein beruhigtes Herz, erhält der Mensch nicht durch seine Aktivität, sondern in dem er passiv den Glauben an Gott und Christus annimmt.

Die 95 Thesen finden nicht nur Beifall, sondern stoßen auch auf eine scharfe Reaktion der offiziellen Kirche. Vielleicht hat diese hier - betrachtet man es unter taktisch-strategischen Gesichtspunkten - überreagiert: Kirchlicherseits droht Rom Martin Luther den Bann an, falls er nicht widerrufe; und als er dies nicht tut, sondern vielmehr öffentlich das päpstliche Schreiben verbrennt, wird der Kirchenbann vollzogen. Dann  folgt die Vorladung vor den Wormser Reichstag, auf dem Martin Luther vor dem Kaiser nochmals Gelegenheit zum Widerruf erhält. Der Legende nach schließt er seinen diesbezüglichen Vortrag mit den bekannt gewordenen Worten: Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen.“ Weil Martin Luther zu seinen bisherigen Schriften steht, wird die Reichsacht über ihn verhängt, dass heißt, er kann von jedermann gefangen genommen und getötet werden. Martin Luther flieht und wird von seinem Landesherren auf der Wartburg zum eigenen Schutz gefangen gehalten, eine Zeit der Abgeschiedenheit, die er zur Übersetzung des Neuen Testaments nutzt. Die Sache des rebellischen Mönches Martin Luther ist in das Konfliktfeld der großen Politik zwischen Kaiser und erstarkenden Landesfürsten hineingeraten. Dabei ist der Kaiser nicht mächtig genug, den Flammenherd so auszulöschen, wie er es gern möchte, so dass sich das Anliegen der Reformation in Windeseile über ganz Deutschland verbreiten kann. Dies treibt auch radikale Kräfte (Bilderstürmer, Schwärmer) nach oben, die das Kind mit dem Bade auszuschütten drohen. Allein die Autorität Martin Luther scheint in der Lage, die Situation in geordnete Bahnen zu lenken. So kehrt er aus seinem Exil auf der Wartburg nach Wittenberg zurück. Seine Arbeit besteht jetzt bis zu seinen Tode darin:

·       durch die Publikation von Schriften die Grundlage des evangelischen Glaubens zu stabilisieren,

·       an der Erarbeitung einer theologischen Plattform mitzuwirken, auf die breite reformatorische Kreise sich stellen können,

·       Fürsten zu beraten in den Angelegenheiten, die sich aus der Reformation für den politischen Bereich zwingend ergeben,

·       die Ordnungen der entstehenden „protestantischen“ Kirche zu erarbeiten, die den neu entstehenden Glauben binden und ihm Festigkeit verleihen,

·       den Theologennachwuchs auszubilden und in den Gemeinden zu predigen.

Martin Luther verbringt die letzten 25 Jahre seines Lebens mit diesen Arbeiten. Er ist dabei oft angefochten durch persönliche Krisen und bedroht von äußeren Angriffen. Kraft zu diesem Leben im Kampf gibt ihm seine starke Glaubensüberzeugung - noch in seiner Todesstunde ist er sich gewiss, für die richtige, Gott wohlgefällige Sache gekämpft zu haben, und dass der Papst der Antichrist und des Teufels sei -; Kraft gibt ihm seine Familie und seine Ehefrau - darüber werden wir weiter unten noch hören, wenn wir uns mit Luthers Verständnis von Familie und Ehe befassen -; Kraft geben ihm der Einsatz der Mehrzahl der politisch Mächtigen im damaligen Deutschland für das Anliegen der Reformation und die breite Zustimmung und das Engagement großer Bevölkerungskreise, die sich von alten Bevormundungen befreit fühlen.

b) Inhaltliches

·       Gott, Staat und Mensch

Martin Luther zeichnet ein scharf zweigeteiltes Bild vom Menschen: einerseits ist er, so wie Gott ihn geschaffen hat, gut: er strebt nicht danach, äußerlich in der Welt zu handeln, sondern in sich selbst und in seiner Beziehung zu Gott Ruhe und Gewissheit zu erlangen; dieser „innere Mensch“ ist, wie Luther es formuliert, „ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan“. (Luther, 1520, S. 15) Doch dem steht andererseits der empirische Mensch gegenüber, der „leibliche Mensch“, der in der äußeren Welt lebt, nach Ruhm strebt und den Mitmenschen übervorteilen will. Dieser „alte“ Mensch ist schon auf Grund seiner unermesslichen Begierden unfrei. Da Martin Luther von der Sündhaftigkeit eines jeden ausgeht, kann die zuerst bezeichnete positive Vorstellung nicht faktische Wirklichkeit benennen, sondern nur eine Zielvorstellung darstellen. Ihr soll sich der Mensch annähern, obwohl klar ist, dass er bis zum „Jüngsten Gericht“ sie nicht erreichen wird. Das positive Menschenbild deutet Martin Luther in religiöser Hinsicht: er spricht deshalb von dem „geistlichen Menschen“. Seine „Nahrung“ erhält er von Gott her, geoffenbart im Neuen Testament.

„Gute fromme Werke machen nimmermehr einen guten frommen Mann, sondern ein guter frommer Mann macht gute fromme Werke. Böse Werke machen nimmermehr einen bösen Mann, sondern ein böser Mann macht böse Werke. So daß allewege die Person muß zuvor gut und fromm sein vor allen guten Werken, und gute Werke folgen und ausgehen von der frommen Person“ (Luther, 1520, S. 26)

Dieses zweigeteilte Menschenbild hat Konsequenzen für das richtige Handeln, wie in nebenstehendem Zitat deutlich wird. Hier fließt das ein, was Martin Luther in seinem Bekehrungserlebnis für sich erfahren hat. Wir können es mit unserer Sprache so formulieren: Ausschlaggebend ist der Motivationsgrund, aus dem heraus ein Mensch handelt. Ruht ein Mensch in sich (in Gott), so wird ihn dies dazu treiben, in gerechter und friedvoller Weise in dieser Welt zu handeln. Hat er in sich selbst aber keine Ruhe gefunden, dann werden seine Bedürfnisse ihn nach außen drängen und hektisch wird er sie zu befriedigen suchen, in dem er die anderen übervorteilt.

Pädagogisch ergibt sich daraus: Wollen wir wirklich einen Menschen erziehen, dann dürfen wir nicht auf die äußere Erscheinung blicken und oberflächlich-anständiges Verhalten antrainieren. Dadurch könnten wir in dem Kind nur eine Angepasstheit erreichen, die dann zusammenbricht und dem Egoismus Platz macht, wenn die Erwachsenenautorität nicht mehr mit Gewalt wirkt. Gerichtet sein muss die Erziehung vielmehr auf den „inneren Menschen“, wir würden vielleicht heute formulieren, auf die Selbstwerdung des Kindes. Für Martin Luther kann diese jedoch keine pädagogische Leistung sein, sondern für ihn ist sie ein Geschenk Gottes, das der Mensch sich nicht aktiv erarbeiten kann, sondern das er passiv geschehen lassen muss.

Aus dem zweigeteilten Menschenbild folgt auch das Staatsverständnis Martin Luthers. Wenn der Mensch gut wäre, dann bedürfte es keiner staatlichen Gewalt, weil der christliche Mensch so „genaturt“ (Luther, 1523, S. 36) ist, dass er von selbst auch in seinen sozialen Beziehungen zu anderen Menschen sich richtig verhält. Doch davon auszugehen ist naiv. Martin Luther bringt hier das Bild von dem Hirten, der wilde und zahme Tiere in einen Stall zusammenbringt und dabei die Erwartung hegt, sie würden schon friedlich miteinander umgehen, da Nahrung hinreichend für alle vorhanden sei: „Hier würden die Schafe wohl Frieden halten ..., aber sie würden nicht lange leben.“ (ebenda, S. 38) Weil der empirische Mensch nicht gut ist, bedarf es der staatlichen Gewalt, die ein gerechtes, friedvolles Miteinanderleben der Menschen erzwingt. Da der Staat also notwendig ist, muss auch der Christ sich ihm fügen, ja er muß sogar aktiv die weltliche Macht (bis hin zum Kriegs- und Henkerdienst) ausüben, damit sie in rechter Weise benutzt wird.

„Welcher nun ein christlicher Fürst sein will, der muß wahrlich die Meinung ablegen, daß er herrschen und mit Gewalt verfahren wolle. Denn verflucht und verdammt ist alles Leben, das ihm selbst zu Nutz und zugut gelebt und gesucht wird, verflucht alle Werke, die nicht in der Liebe gehen. Dann aber gehen sie in der Liebe, wenn sie nicht auf eigene Lust, Nutzen, Ehre, Gemach und Heil, sondern auf anderer Nutzen, Ehre und Heil gerichtet sind von ganzem Herzen.“ (Luther. 1523, S. 55f)

Aus dem zweigeteilten Menschenbild ergibt sich, dass jeder Mensch in „zwei Welten“ gleichzeitig lebt: Einerseits in sich selbst und in seiner Beziehung zu Gott und andererseits in der sozialen Welt des Miteinanderlebens mit anderen. Staatliche Gewalt darf sich dabei nur auf diesen zweiten Bereich beziehen, während im religiösen Feld keinerlei Gewalt Platz haben darf. Hier gilt ausschließlich die Gewissensfreiheit eines jeden Einzelnen. In zweifacher Hinsicht zeigt sich ein neuzeitlicher Charakter im Denken Martin Luthers: einerseits die Legitimation der staatlichen Gewalt dadurch, dass der gesellschaftliche Kampf aller gegen alle unterbunden und so ein friedliches soziales Leben ermöglicht wird, andererseits die Heraushebung der Individualität - zumindest im religiösen Bereich - und der von jedem einzelnen selbst zu verantwortenden Gewissensentscheidung. Beides - Beschränkung der legitimen Gewalt auf den „dienenden“ Staat und damit Einschränkung der Gewaltausübung des Einzelnen sowie die individuelle Gewissensentscheidung - werden der Pädagogik neue, weitere Spielräume geben.

·       Ehe und Familie


Beginnen wir mit einem biographischen Bezug: Martin Luther ist 41 Jahre alt, als er die 16 Jahre jüngere, ehemalige Benediktinernonne Katharina von Bora heiratet. Es ist nicht Liebe auf den ersten Blick, vielmehr versucht er zunächst Katarina, die mit acht Mitnonnen zu Martin Luther geflohen ist, an einen anderen zu vermitteln, und da diesem von seinen Eltern die Ehe verboten wird, an einen weiteren. Doch schließlich setzt Katharina sich mit ihrer Forderung durch: entweder Martin oder keinen. Zu diesem Zeitpunkt haben einige der evangelisch gewordenen Pfarrer geheiratet, und Martin Luther hat es befürwortet, doch für sich selbst ist der ehemalige Mönch vor diesem Schritt zurückgeschreckt. Wie gesagt, es ist keine Liebesheirat, noch 13 Jahre später berichtet Luther, er hätte damals lieber eine andere der Mitnonnen genommen, denn: „Meine Käthe hatte ich dazumal nicht lieb“ (Luther, 1531ff, S. 349). Aber im Verlauf der Ehe entstehen Respekt und Anerkennung vor den Leistungen seiner Frau und auch so etwas wie zärtliche, fürsorgende Liebe, wie die Briefe an die Gattin uns noch heute vermitteln. Sechs Kinder entstammen dieser Ehe, von denen eins als Säugling und eine Tochter im 14. Lebensjahr sterben. Martin Luther kann kompromisslos hart in der Erziehung sein - bekannt geworden ist sein Ausspruch: „Ich wollt lieber einen toten denn einen ungezogenen Sohn haben“ (ebenda, S. 356) -, aber es überwiegen doch eindeutig zärtliche Beschreibungen: seine Betrachtung zu dem an der Mutterbrust saugenden Kinde (ebenda, S. 357); die Beschreibung seiner Trauer angesichts des Todes des Säuglings: „Nie vorher hätte ich geglaubt, daß ein väterliches Herz wegen des Kindes so weich sein könne“ (Luther, 1521, S 302); sein trauerndes, leidenschaftlich-kämpfendes Leiden im Sterben der 13-jährigen Tochter (Luther, 1531, S. 358f). Der Apfel steht vor der Rute. Ein eindrückliches Dokument ist der Brief, den er an seinen Sohn Hans schreibt. In ihm kommt die Ambivalenz der Erziehungsvorstellungen Luthers exemplarisch zum Ausdruck: Er ermahnt ihn, gut zu lernen und fleißig zu beten, und verspricht als Belohnung einen Besuch in einem „Vergnügungspark“, den er fast in paradiesischen Zügen ausmalt. Man spürt noch heute die Zärtlichkeit und Liebe, mit der  der Vater an dem Sohn hängt, um dessen Wohlergehen er besorgt ist, und man wird noch heute aufgeschreckt durch die eingerahmten Belehrungen, sich entsprechend den Vorstellungen des Vaters wohl zu verhalten.

Die große Bedeutung, die Ehe und Familie für Martin Luther persönlich haben, und gleichermaßen die Ambivalenzen, die wir beobachten können, spiegeln sich auch in seinen grundsätzlichen Äußerungen zu diesem Themenkreis wieder. Auf der einen Seite befreit er die Ehe von ihrem Charakter als kirchliches Sakrament und verweist sie so in den politischen Bereich, so dass er etwa zur Ehescheidung eine andere Position als die katholische Kirche einnimmt („Wir heißen weder Scheidung gut noch verwehren wir sie, sondern vertrauen der Obrigkeit, darin zu handeln und lassen danach gehen, wie weltliches Recht hierin entscheidet“ - in: Aland, 1956, S. 76). Gleichzeitig aber hebt Martin Luther die Ehe in einen von Gott gewollten „Stand“ - neben Kirche und Obrigkeit. Weil er Sexualität als einen natürlichen Trieb anerkennt, den der Mensch (von wenigen Ausnahmen abgesehen) nicht verleugnen kann, bedarf es der Ehe, um den Gefahren der Prostitution auszuweichen.

Eine besondere Aufgabe, aber auch ein besonderes „Geschenk Gottes“ erhalten die Eheleute durch die Erziehung ihrer Kinder, denn nach Martin Luther ist erster und wichtigster Ort der Erziehung die Familie. Die damit verbundenen Aufgaben - vom Waschen der Windeln bis zur religiösen Erziehung - weist er den Eltern zu, und er spricht ausdrücklich auch den Vater an, selbst wenn er sich als Wäsche waschender und kinderpflegender Hausmann der Lächerlichkeit der Mitwelt preisgibt.

„Es ist nichts mit Wallfahrten gen Rom, gen Jerusalem, zu S. Jakob. Es ist nichts, Kirchen bauen, Messe stiften, oder was für Werke genannt werden mögen, gegen diesem einigen Werke, daß die Eheleute ihre Kinder ziehen. Denn dasselbe ist ihre richtigste Straße gen Himmel, sie mögen auch den Himmel nicht eher und besser erlangen, denn mit diesem Werk. Es ist auch ihr eigen Werk; und wo sie sich desselbigen nicht befleißigen, so ist es gleich ein verkehrt Ding, als wenn Feuer nicht brennt, Wasser nicht netzet.“ (Luther, 1519, S. 107)

Es sind Aufgaben, die von Gott geboten sind, und deren Erfüllung deshalb, auch in den banalsten Verrichtungen „Gottes Dienst“ ist. Martin Luther propagiert so etwas, was später (erst zustimmend, dann teilweise mit abfälligem Unterton versehen) die „bürgerliche Familie“ genannt werden wird. Duch sie, durch die Individualität in der Familie, wird das einzelne Kind als unterstützungswürdig, schutzbedürftig gesehen. Und ein zweites kommt bei Martin Luther hinzu: durch seine theologische Begründung verweist er gleichzeitig auf die Grenzen elterlicher Gewalt. So schreibt er im Großen Katechismus: „denke nicht, daß solchs (die elterliche Erziehung) zu deinem Gefallen und eigener Willkür stehe“ Luther, 1530, S. 135). Die Erziehungsaufgaben der Eltern, und damit die Macht, die sie über ihre Kinder haben, sind begrenzt durch ihren „Dienst“charakter. Sie haben Gott darüber Rechenschaft abzulegen.

Den elterlichen Pflichten, die nicht Last, sondern Freude bedeuten und deren Erfüllung den Himmel verheißen, deren Versagen aber die Hölle zur Folge haben, entspricht die „Ehre“, die die Kinder den Eltern gegenüber schuldig sind. So schreibt Martin Luther in der Auslegung des Vierten Gebotes: „So lerne nun zum ersten: was die Ehre gegen die Eltern heiße, in diesem Gebot gefordert; nämlich, daß man sie vor allen Dingen herrlich und wert halte, als den höchsten Schatz auf Erden. Darnach auch mit Worten sich züchtig gegen sie stelle, nicht übel anfahre, poche und poltere; sondern lasse sie recht haben und schweigen, ob sie gleich zuviel tun. Zum dritten auch mit Werken, das ist mit Leib und Gut, solche Ehre beweise, daß man ihnen diene, helfe und versorge, wenn sie alt, krank, gebrechlich oder arm sind, und solches alles nicht allein gerne, sondern mit Demut und Ehrerbietung, als für Gott getan.“ (ebenda, S. 127f) Generationen von Eltern haben mit solchen Zitaten die Forderung nach Unterwürfigkeit der Kinder begründet und ihre willkürliche Gewaltherrschaft legitimiert. Doch wenn man Martin Luther verstehen will, muss man beides zur gleichen Zeit sehen: der Ermahnung an die Kinder, die Eltern zu „ehren“, steht die Forderung an die Eltern, die Kinder zu erziehen, ihnen Schutz und Bildung zu geben, gegenüber.

·       Schulbildung

Martin Luther ist Kirchenmann und Politiker, d.h.: auch wenn er über die Fragen der Bildung nachdenkt, geht es ihm um das Fundament der neuen gesellschaftlichen Ordnung, die sich aus der Reformation notwendiger Weise ergeben muss; er ist nicht Pädagoge, der von den Erziehungsansprüchen und -bedürfnissen des einzelnen Kindes ausgeht. Der entstehende Staat und die neue Kirche bedürfen des Nachwuchses, der gebildet werden muss, um deren Aufgaben erfüllen zu können. Mit dem Bildungswesen, den höheren Schulen und der Universität, stand es in den Ländern der Reformation nicht zum besten: die Schüler- und Studentenzahlen waren stark rückläufig, die Finanzierung ungesichert. Galten früher geistliche Ämter als Aufstiegsmöglichkeit, weil mit ihnen Privilegien und eine gesicherte Existenzgrundlage verbunden waren, so ist jetzt der neue Pfarrerberuf ökonomisch und auch sozial noch ungesichert; verstanden sich ehemals finanzielle Zuwendungen für die Kirche, ihre Bildungs- und Sozialleistungen, als Bringschuld für das eigene Seelenheil und das der Verwandten, so scheint jetzt die Finanzierung der neuen Kirche ungewiss. Die neue christliche Freiheit kann als Freifahrtschein und Hinwendung zu eigenem Wohlstand verstanden werden. Wenn gute Werke nicht gerecht vor Gott machen, warum dann „gute Werke“ tun?

„Darum wache hie, wer wachen kann! Die Obrigkeit, wo sie einen tüchtigen Knaben siehet, daß sie den zur Schule halten lasse; ist der Vater arm, so helfe man mit Kirchengütern dazu. Hie sollten die Reichen ihre Testamente zugeben, wie denn die getan haben, die etliche Stipendia gestifetet haben; das hieße recht zur Kirche dein Geld bescheiden. Hie lösest du nicht der Verstorbenen Seelen aus dem Fegfeuer, sondern hilfest durch Erhaltung der göttlichen Ämter beiden, den Lebendigen und den Zukünftigen, die noch nicht geboren sind, daß sie nicht hinein ins Fegfeuer kommen, ja, daß sie aus der Hölle erlöset werden und gen Himmel fahren, und die Lebendigen, daß sie Frieden und Gemach haben. Das möchte ein löblich christlich Testament sein, da hätte Gott Lust zu und Gefallen dran und würde dich wiederum segnen und ehren, daß du auch Lust und Freude an ihm haben würdest.“ (Luther, 1530a,, S. 106)
























Dies ist der kritische Ausgangspunkt, von dem aus sich Martin Luther an die Obrigkeit (1524) und die Eltern selbst (1530a) wendet, um für den Erhalt, ja erst wirklich möglichen Aufbau des Bildungswesens zu plädieren. Schulbildung ist nicht notwendig zur Erlangung beruflicher Qualifikationen in Handwerk, Landwirtschaft und Handel (Martin Luther nennt sie „Bauchsorgen“), weil derartige Fähigkeiten in der unmittelbaren Teilhabe an den Alltagsgeschäften erlernt werden. Sie ist aber dringend erforderlich für die Positionen, die jetzt notwendiger denn je werden: für die Pfarrer, die Juristen, die Lehrer. Die Herausbildung des modernen Staates, die den Bürgern Rechtssicherheit gibt und innerhalb des Gemeinwesens ein friedliches Miteinander verspricht, kann sich nicht nur auf die Gewalt stützen, sondern bedarf fähiger Juristen, die das Recht gelernt haben und auszulegen wissen. Und die neue Kirche, als Gemeinschaft aller Gläubigen, bedarf Pfarrer, die jeden einzelnen über den rechten Glauben in der Predigt durch das Wort belehren, damit er für sich selbst zu begründeten Gewissensentscheidungen gelangen kann. Es gibt also sowohl im politischen wie im kirchlichen Bereich einen Bedarf an qualifizierten Menschen. Diese können nicht naturwüchsig entstehen, sondern sie müssen von Lehrern (durch Sprachstudien, historische Kenntnisse, Musik und Mathematik, 1524, S. 75f) gebildet werden. In der Sprache Martin Luthers: „Ochsen und Pferde, Hund und Säu werden’s nicht tun. Holz und Steine auch nicht. Es werden wir Menschen tun müssen“ (Luther, 1530a, S. 88).

Der Mensch kann nicht nur aus eigener Erfahrung lernen, „denn zu eigener Erfahrung gehört viel Zeit“ (Luther, 1524, S. 76), sondern er muss planmäßig unterrichtet werden, sollen die Kinder nicht „wie das Holz im Wald“ wachsen und dann „nur ein unnütz Gehecke und nur zum Feuerwerk tüchtig“ sein (ebenda, S. 68). Dabei kommt der gesellschaftlich und kirchlich gebotenen Bildungsnotwendigkeit entgegen, dass Kinder gerne lernen, wenn die Erziehungsmethoden ihrem natürlichen Aktivitätsdrang angepasst und die Gewalt der Erwachsenen und die Angst der Kinder, die bisher das Erziehungsgeschehen geprägt haben, aus der Schule verbannt werden. Dem Argument der Eltern, sie bedürften der Mithilfe der Kinder in Haushalt und Beruf und könnten es deshalb nicht zur Schule schicken, begegnet Martin Luther in recht pragmatischer Art: wenige Stunden am Tag und wenige Jahre im Leben der Kinder genügten, um eine allgemeine Grundbildung für alle (Jungen und Mädchen!) zu schaffen, so dass noch genügend Zeit für die Mitarbeit der Kinder bliebe. Nur die für das Prediger-, Lehr- und Juristenamt befähigten Kinder, die sich aus dem Kreis der „gemeinen Leute“ und nicht aus der aristokratischen Oberschicht rekrutieren sollen, bedürften einer weiterführenden Bildung.

Erster Ansprechpartner der Forderung, „die Kinder zur Schule zu halten“ (1530a) sind die Eltern. Sie dürfen ihre Kinder nicht zurückhalten, nur weil ein handwerklicher oder bäuerlicher Beruf mehr wirtschaftlichen Erfolg verspricht. Vielmehr gilt auch hier: Gemeinnutz geht vor Eigennutz, und Martin Luther zieht alle Register des Versprechens göttlicher Verheißung (bei Erfüllung) und göttlicher Strafe (bei Nichterfüllung dieser Forderung), die wir an ihm bereits kennengelernt haben. Gleichzeitig appelliert er an den Staat, für Aufbau und Erhalt des Bildungswesens zuständig zu sein, und er fordert von ihm die Durchsetzung der Schulpflicht gegenüber den Eltern - in Parallele zur Militärpflicht, die durchzusetzen ihm doch auch selbstverständlich sei. Durchaus in Entsprechung zu Argumenten, die wir in unserer Zeit zur institutionellen Erziehung im frühkindlichen Bereich wiederfinden, begründet Luther das Engagement des Staates für die Bildung: Einerseits gäbe es Eltern, die ihrer Erziehungspflicht nicht nachkommen würden, und es bedürfe deshalb des gesellschaftlichen Einsatzes, solche Kinder nicht verloren zu geben, andererseits hätten Eltern keine Zeit oder nicht die notwendigen pädagogischen Fähigkeiten, um ihre Kinder selbst zu erziehen. Weil die Bildung des Kindes in der Familie ungesichert und unvollständig ist, bedarf es des Eingreifens des Staates. Dieses ist durchaus auch in seinem eigenen Interesse, weil die Bildung des Volkes eher als die militärische Stärke für das Wohlergehen der Gesellschaft als Ganzer ausschlaggebend ist.


 drucken  zu favouriten hinzufügen  email