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Friedrich Wilhelm August Fröbel

  Home / Texte / II / Friedrich Wilhelm August Fröbel

Sigurd Hebenstreit

Friedrich Fröbel (1782 bis 1852): „Äußerliches innerlich und Innerliches äußerlich machen“

a) Biographisches

Einige der Städtchen und Dörfer, in denen Friedrich Fröbel im Verlaufe seines Lebens wohnt, wird man wohl auf der Landkarte nachschlagen müssen: Stadt-Ilm, Hischberg/Saale, Jena, Baunach, Bamberg, Neubrandenburg, Frankfurt, Göttingen, Berlin, Keilhau, Wartensee, Willisau und Burgdorf (die letzten drei liegen in der Schweiz), Bad Blankenburg, Bad Liebenstein. Auf den ersten Blick mögen die vielen Orte auf ein unruhiges Wanderleben ohne Heimat schließen lassen, doch auf den zweiten Blick sieht man, daß die verschiedenen Stationen sich wie konzentrische Kreise um des Geburtsort Oberweißbach legen, ein Dorf im Thüringer Wald. Zwischen dem Ort des Lebensanfangs und des Lebensendes liegt eine Entfernung von 60 km Luftlinie, und von Oberweißbach zu dem kleinen Dorf Keilhau, der Ort, an dem Fröbel am längsten lebt und der Mittelpunkt der Gemeinschaft ist, die ihm heimatlichen Rückhalt gibt, sind es 15 km.

·       Zwei Kindheiten (1782 bis 1797)

Eine schroffe Schwarz-Weiß-Zeichnung charakterisiert das Leben des kleinen Friedrich Fröbel, weshalb wir von zwei Kindheiten sprechen. Am Beginn steht die schwarze Farbe, die schwärzer wir uns nicht vorstellen können. Als der Säugling ein drei Viertel Jahr alt ist, stirbt seine Mutter, und die Frau, die der Vater zwei Jahre nach dem Tod der ersten heiraten wird, kann dem Kleinen die Liebe, derer er dringend bedarf, nicht ersetzen. Geht es am Anfang zwar noch einigermaßen gut, so verkehrt sich das Verhältnis zwischen dem kleinen Jungen und der Stiefmutter spätestens dann in Haß, als diese selbst eigene Kinder bekommt. Dem kleinen Friedrich, der bislang mit „Du“ angesprochen wurde, wird jetzt diese Anrede zuungunsten des unpersönlichen „Er“ entzogen; und nicht nur, daß sie das Stiefkind schlecht versorgt, sondern sie schreibt ihm prinzipiell alles Schlechte zu: beim Streit mit den jüngeren Geschwistern gilt er immer als der Schuldige, und wenn dem Jugendlichen und Heranwachsenden später von anderen schlechte Zeugnisse ausgestellt werden, so wird die Stiefmutter nur mit vollem Herzen und auch bitterer Ironie einstimmen können. Ihr negatives Bild von dem Jungen wird in der empirischen Wirklichkeit oft bestätigt: er ist ein schlechter Lerner und er gibt häufig Anlaß - um es mit einem Wort aus unseren Tagen auszudrücken -, ihn als „verhaltensgestört“ zu bezeichnen. Die Stiefmutter hat allem Grund, ihren Mann erfolgreich dahingehend zu beeinflussen, daß dieser in die Bildung und berufliche Ausbildung des jüngsten Sohnes aus früherer Ehe nicht viel investiert.

1782

21. April: Geburt in Oberweißbach

1792

Umzug zum Onkel nach Stadt-Ilm

1797

Forst-Geometerlehre

1799

Studium in Jena

1802

Forstamtsaktuar in Bamberg

1804

Privatsekretär bei Neubrandenburg

1805

Lehrer und Erzieher in Frankfurt

1808

Aufenthalt in Yverdon bei Pestalozzi

1811

Studium in Göttingen und Berlin

1816

Gründung der Erziehungsanstalt

1831

Aufenthalt in der Schweiz

1837

Umzug nach Bad Blankenburg

1840

Kindergartengründung

1851

Kindergartenverbot in Preußen

1852

21. Juni: Tod in Marienthal

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Fehlen der mütterlichen Liebe ist schlimm, noch schlimmer aber ist, daß der Vater diesen Mangel weder kompensieren kann noch will: „eben so wenig einen Vater, wie ... eine Mutter“ (1966a, S. 32f) zu haben, ist das Schicksal Friedrich Fröbels. Der Vater ist Pfarrer in dem Geburtsort Oberweißbach, und noch heute kann man die Kirche besuchen, die in seiner Amtszeit gebaut wurde: die zweitgrößte Hallenkirche Thüringens, ein imposanter Bau mit einer die drei Kirchenseiten einrahmenden doppelstöckigen Empore und einer überdimensionalen Kanzel im Altarraum. Wenn man in der Kirche sitzt, kann man die Angst des kleinen Jungen nachempfinden: der Vater hoch oben auf der Kanzel, übermächtig vor dem kleinen Sünder in dem Kirchenraum, oder der Blick von der oberen Empore, die steil nach unten abfallend den Blick auf die verschwimmende Gemeinde unter bloßlegt. Der Vater ist mit der Beaufsichtigung des Kirchenbaus mehr als ausgelastet, dazu kommt noch seine umfassende seelsorgerische Tätigkeit für eine 5000 Menschen umfassende Gemeinde, die in mehreren Dörfern verstreut lebt.

Vater und Sohn bleiben sich fremd, weil der Vater kein Verständnis für den Jungen aufbringt, der nicht so funktioniert, wie er soll. Allein die Gartenarbeit, die der Vater als Ausgleich betreibt, verbindet die beiden, ein nicht unwichtiges Datum für den Pädagogen, der mit seiner Wortschöpfung „Kindergarten“ einen Ausdruck geprägt hat, der uns selbstverständlich geworden ist, und der als „Fremdwort“ in andere Sprachen (z.B. ins Englische und Japanische) eingegangen ist. Die Distanz von Vater und Sohn besteht, obwohl der kleine Friedrich das Schicksal der meisten Pfarrerskinder teilt, die mit hineingenommen werden in den Berufsalltag des Pfarrervaters: Jeden Sonntag sind es zwei Gottesdienste, die der Junge besuchen muß, und er erlebt die Predigten des Vaters als in einer „Steinsprache“ (1966a, S. 38) gesprochen, weil die persönliche und emotionale Bedeutung des Gesagten hinter der Form des Ausdruckes wie eingemauert erscheint. Und das Kind ist bei den seelsorgerischen Gesprächen des Vaters zugegen, deren Inhalt häufig die Sexualität berührt. So wie der Vater über sie redet, muß sie dem kleinen Friedrich als eine „der drückendsten und lastendsten“ (1966a, S. 39) Gegenstände für den Menschen erscheinen, und erst als der ältere Bruder ihm an der Pflanzenwelt die geschlechtlichen Unterschiede zeigt, kann Friedrich eine andere, natürliche Einstellung zur Sexualität gewinnen.

Angesichts der Übermacht des Vaters und der kindlich selbstverständlichen Suche nach der Liebe der Eltern beschließt das Kind „recht brav und gut zu werden“ (1966a, S. 35). Doch die Vorurteile der anderen sind stärker: Alles, was Friedrich tut, bestätigt ihnen, daß er zum Lernen zu dumm und sein Charakter böse ist. Die Mauer läßt sich nicht überwinden, und es bleibt für den kleinen Jungen nur der Rückzug in die Innerlichkeit des eigenen Lebens, die den anderen verborgen ist. Als er ein wenig größer wird - obwohl aus der Sichtweise unserer Kindheitsvorstellungen würden wir ihn nicht als „groß“ und „selbständig“ bezeichnen - versucht er durch Flucht der unerträglichen Situation zu entkommen. Wie die älteren Geschwister, die bereits alle aus dem Haus sind und, wenn sie zu Besuch kommen, den kleinen Bruder „gegen Mißhandlung in Schutz nehmen (1966a, S. 43), sehnt sich auch Friedrich nach einem Ende des Martyriums. Dazu bietet sich Gelegenheit, als ein Onkel bei einem Besuch in Oberweißbach die problematische Situation erkennt und dem Vater vorschlägt, den 10jährigen bei sich aufwachsen zu lassen. Er, der Bruder der leiblichen Mutter, ist Superintendent in Stadt-Ilm, seine Frau und das einzige Kind sind ihm früh gestorben, und er lebt jetzt mit seiner Schwiegermutter zusammen. Der Vater „willigte leicht und gern ein“ (1966a, S. 45), daß sein Sohn das Elternhaus verläßt, und so kann die zweite, weiße, Kindheit Friedrich Fröbels Raum erhalten. Die Suche nach dem verlorenen Vater bleibt für Friedrich Fröbel eine lebenslange Wunde. Noch der Erwachsene wird in seiner Biographie mit bewegten Worten den Wunsch äußern: „Möge sein (des Vaters) verklärter Geist jetzt, wo ich dieses schreibe, beruhigt und segnend auf mich herab sehen; möge er nun mit dem Sohne, der ihn so sehr liebte, zufrieden sein“ (1966a, S. 62).



Für den 10-jährigen ist der Umzug ein Akt der Befreiung: nicht mehr in Haus und Garten ist er eingesperrt, die von Mauern und einer Felswand umgeben einen Blick in die weite Natur versperren, sondern er kann frei die Umgebung erforschen; der ungezwungene Umgang mit den Kindern der Nachbarschaft kann sich im Spiel ausdrücken, wenngleich Friedrich noch einen Nachholbedarf hat, um seine anerzogene diesbezügliche Unbeholfenheit zu überwinden; er kommt in die Jungenabteilung der Stadtschule, während er in Oberweißbach auf väterlichen Geheiß die Mädchenklasse besuchen mußte; und schließlich erfährt er durch den Onkel einen neuen Zugang zum Christentum: nicht der strafende Gott des Vaters, sondern der den Menschen liebende, um sein Wohl besorgte Gott wird gepredigt und gelebt. Entsprechend seiner eigenen Erfahrung mit den beiden Männer zeichnet Friedrich Fröbel sie in scharfem Kontrast, und er macht keinen Hehl aus seiner Überzeugung, daß er die menschenfreundliche Art des Onklels der autoritären, abweisenden des Vaters vorzieht.

Obwohl die fünf Jahre bei dem Onkel für Friedrich Fröbel eine zweite Kindheit sind, die viel von den negativen Erfahrungen im väterlichen Haus kompensiert, scheint sich die „Verhaltensstörung“ des Kindes nicht beigelegt zu haben. Anläßlich der anstehenden Entscheidung, was nach der Konfirmation aus dem Jungen werden solle, schreibt der Onkel an den Vater: Friedrich „müsse etwas Festes zu tun bekommen, er lerne vielleicht anderwärts besser aufs Wort merken und ernstlicher auf die Ablegung so mancher alter Unarten denken. ... Wegen seines flüchtigen Temperaments habe er mehr Aufsicht und Anstrengung nötig, als er bei dem jetzt schwächlichen und kränklichen Oheim finde“ (Kuntze 1952, S. 14).

·       Ausbildung und Berufsversuche (1797 bis 1816)

Dass Friedrich nicht studieren soll, legen seine schlechten Schulleistungen nahe, und auch die Stiefmutter verhindert diesen Plan, da sie angesichts der bereits sich im Studium befindlichen älteren Brüder um die finanziellen Mittel ihres Mannes bezüglich der eigenen Kinder fürchtet. Auch andere Berufswege, die für die Zukunft ein gesichertes Auskommen versprechen würden, bleiben angesichts der geringen Hoffnungen, die der Pfarrerssohn verspricht, verschlossen. So ist für den Jugendlichen von 15 Jahren als letzter Ausweg nur noch die Lehre bei einem Förster offen, gedacht als Voraussetzung, um für die Tätigkeit als Bauer vorbereitet zu werden. Zwei Jahre dauert die Lehrzeit, eher wieder eine schwarze Etappe im Leben Friedrich Fröbels. Der Förster, mit verschiedenen Aufgaben gut ausgelastet, vernachlässigt den Lehrling, der sich die Zeiten der Abwesenheit des Lehrherren mit dem Lesen von Büchern vertreibt. Nach zwei Jahren nimmt Friedrich Fröbel Abschied - gegen den Widerstand des Försters, der seine Arbeitskraft lieber noch für ein weiteres Jahr gebrauchen würde. Doch der Jugendliche setzt sich durch, so daß der Lehrherr aus Rache einen bösen Brief an den Vater schreibt, in dem er Friedrich ein völlig unzureichendes Zeugnis ausstellt. Dieser Nachweis ist selbstverständlich Wasser auf die Mühlen der Stiefmutter, und es ergibt sich eine Leerlaufphase ohne Tätigkeit, die Friedrich im väterlichen Haus verbringt.

Ein Besuch bei dem in Jena studierenden Bruder weckt Friedrich Fröbels Sehnsucht, selbst besser gebildet zu werden. Das von seiner leiblichen Mutter geerbte Vermögen verschafft ihm dazu die Voraussetzung, und er kann Mathematik und Naturwissenschaften studieren. Doch schon im zweiten Studienjahr werden seine finanziellen Mittel knapp, und er macht Schulden, die er nicht zurückzahlen kann. Als auch der Vater sich weigert, für ihn einzustehen, wird er von der akademischen Gerichtsbarkeit in Haft genommen. Auch jetzt noch sieht der Vater keine Veranlassung, mit eigenen Mitteln tätig zu werden, und erst als Friedrich Fröbel offiziell auf sein väterliches Erbe verzichtet, ist der Vater willens, ihn auszuzahlen. Neun Wochen bleibt der junge Student in Haft, sein erster Studienversuch ist damit beendet, und er muß ins väterliche Haus zurückkehren. Dort beschäftigt er sich im Selbststudium mit einigen Büchern aus der väterlichen Bibliothek, doch der Pfarrherr hält diese Beschäftigung seines Sohnes nur „für thörichte Zeit- und Papiervergeudung“ (1966a, S. 61).

Friedrich Fröbel ist 20 Jahre alt, als der Vater stirbt. Das Haus muß er jetzt verlassen, und er versucht sich in mehreren Stellen als Forstamtsaktuar und Geometer im Raum Bamberg. Schließlich inseriert er in einer Zeitschrift ein Stellengesuch, und so kommt er als Privatsekretär nach Mecklenburg. Doch allzu lange hält er es auch dort nicht aus. Architekt möchte er jetzt gerne sein, und über Bekannte versucht er Kontakt nach Frankfurt am Main zu schließen, weil er sich dort einen entsprechenden Berufsweg verspricht. Der ihm von dem geliebten Onkel hinterlassene Erbteil ermöglicht es, die Reisekosten für die Fahrt nach Frankfurt aufzutreiben, und er wird von Freunden mit Bürgern dieser Stadt bekannt gemacht. Darunter ist zufällig auch der Leiter einer Schule, die nach den neuen Methoden Pestalozzis Reformen im Bildungsbereich realisieren möchte. Dieser ermuntert ihn, doch als Erzieher und Lehrer an seine Schule zu kommen, und angesichts fehlender Alternativen willigt Friedrich Fröbel ein. Er ist 23 Jahre alt, als er in diese entscheidende Wende seines Lebens getrieben wird.

Spontan empfindet der Heranwachsende, in dem neuen Beruf seine Lebensaufgabe gefunden zu haben. An den älteren Bruder schreibt er: „es sei mir, als habe ich etwas selbst nicht Gekanntes und doch lang Ersehntes, lange Vermißtes, als habe ich endlich das Elemend meines Lebens gefunden; mir sei wohl, wie dem Fisch im Wasser, dem Vogel in der Luft.“ (1966a, S. 79) Noch in dem ersten Jahr seiner Anstellung erhält er die Möglichkeit zu einem zweiwöchigen Studienaufenthalt bei Pestalozzi in Yverdon. Einen Reformoptimismus kennzeichnet den nach Frankfurt Zurückgekehrten, den er in einem Lehr- und Unterrichtsplan umsetzen will, von dem er im Nachhinein sagt, daß er sich als „höchst wohlthätig“ erwiesen habe, obgleich er „für die Lehrer persönlich manches Unbequeme hatte und dieselben mehr als gewöhnlich in Anspruch nahm“ (1966a, S. 79). Das Pestalozzische Prinzip der Anschauung, seine Forderung, die sinnliche Grundlage des zu Lernenden vor der Wortlehre zu beachten, werden wichtige Reformelemente.

Doch schon nach einem Jahr wird die Lehrertätigkeit an einer öffentlichen Schule für Friedrich Fröbel zu eng. Er fühlt sich durch die notwendige Form der Schulverfassung, die das Leben von über 200 Kindern und Lehrern regeln muß, eingezwängt, weil sie seinem Lebensbedürfnis nach Freiheit nicht entspricht. Er gibt deshalb die Schulstelle auf und wird Privatlehrer und -erzieher der drei Kinder der angesehenen Frankfurter Familie von Holzhausen. In Parallele zu Rousseaus Emile lebt er fern der Großstadt mit den Kindern auf dem Land, und das Leben in und mit der Natur wird ihm zum Hauptanliegen. Doch was „natürliche Erziehung“ für Fröbel selbst heißt, dies liegt nicht klar vor Augen, sondern muß in ständigen Versuchen und in lebendigem Austausch zwischen dem Erzieher und den Kindern herausgefunden werden. Rückblickend spricht er deshalb von einer „Zeit des Kämpfens“ (1966a, S. 87f), die ihm diese Jahre bedeutet haben. Erziehung und Leben werden ihm zwei eng zusammengehörige Bereiche, und in der bewußten Reflexion der eigenen Kindheitsgeschichte liegt für Fröbel die wichtigste Voraussetzung für die erzieherisch notwendige Sensibilität für die Bedürfnisse der zu erziehenden Kinder.

Der Heranwachsende ist schnell auf die andere Seite des pädagogischen Tisches gewechselt, zu schnell für sein eigenes Empfinden. Eine umfassende und geordnete Bildung hat er selbst noch nicht genossen, so daß er spürt, daß er für die Lehrer- und Erziehertätigkeit nicht hinreichend vorbereitet ist. Da bietet sich ihm die Chance, gemeinsam mit den Kindern, die er zu erziehen hat, in das Pestalozzische Erziehungsinstitut zu gehen. Er kommt so in eine Doppelrolle „Lehrer und Schüler, Erzieher und Zögling zu gleicher Zeit“ (1966a, S. 96). Antwort auf alle Fragen verspricht er sich von Pestalozzi, und vielleicht sind es die überzogenen Erwartungen, die eine Enttäuschung vorprogrammieren. Er zweifelt nicht an Pestalozzis menschlich wohlwollendem und gutem Willen, an der Richtigkeit seiner pädagogischen Grundsätze, doch in der Art und Weise, wie diese in Yverdon realisiert werden, sieht er viel Kritisches. Als allzu mechanisch, gekünstelt, das Leben tötend sieht er die dortige Lehrweise, und er glaubt, „selbst klar, wenn auch nicht lebendiger zu sehen, als Pestalozzi selbst“ (1966a, S. 97f), was pädagogisch Not tue. Der 28jährige kehrt nach Frankfurt zurück, wo er nur noch für kurze Zeit in der Familie von Holzhausen bleibt.

Friedrich Fröbel drängt es, sein eigenes Studium an einer Universität fortzusetzen, weil er sich selbst als nicht gebildet genug erlebt, um die Ideen zum Ausdruck bringen zu können, die er in sich fühlt. Hinzu kommt, daß die Beziehung zu der Mutter seiner Zöglinge einen gefährlichen Charakter angenommen hat, spekuliert wird sogar, ob das ein knappes Jahr nach Fröbels Weggang geborene jüngste Kind der Familie von Holzhausen Fröbel als Vater hat (Heiland 1982, S. 39ff). Auf jeden Fall kommt Friedrich Fröbel psychisch sehr beunruhigt in Göttingen, seinem zukünftigen Studienort an, und es dauert Monate, bis er wieder zur Ruhe findet. Nachdem er im ersten Semester sich mit verschiedenen Sprachen beschäftigt, studiert er im folgenden verschiedene Naturwissenschaften.

Als wichtigstes Ergebnis nimmt er die Erkenntnis des „Sphärischen Gesetzes“ aus seiner Göttinger Zeit mit. Wenn wir die Dinge nicht ihrem empirischen Schein nach beurteilen, also nicht danach, wie sie uns  durch unsere Wahrnehmungen von der Oberfläche her erscheinen, sondern wenn wir sie aus ihrem Wesen heraus verstehen, wie sie in ihrem Innern beschaffen sind, dann erkennen wir, daß Alles mit Allem zusammenhängt. Von dieser Einheit müssen wir ausgehen, auch wenn die Gestalten, in denen dieses einheitliche Gesetz auftaucht, eine große Mannigfaltigkeit zeigen. Bei der Abmessung des Radius der Einheit, mit der Friedrich Fröbel das Sphärische Gesetz ausmißt, greift er sehr weit: Der Mensch, die beseelten Tiere, das pflanzliche Leben, aber auch die für uns scheinbar toten Steine und Gestirne - in umfassendem Sinne Alles dies ist unterschiedlicher Ausdruck des gemeinsamen Gedankens, dessen höchste Form Gott ist. Ein Studium der Naturwissenschaften erweitert deshalb nicht nur das  Wissen um die Dinge, die dem Menschen entgegengesetzt sind, sondern es vermittelt gleichermaßen wichtige Menschenkenntnis, und ist somit Vorbereitung auch auf den pädagogischen Beruf.

Das erste Jahr seines zweiten Studiums kann Friedrich Fröbel durch eine kleine Erbschaft einer Tante finanzieren. Doch dann ist er gezwungen, sich durch eine Nebentätigkeit als Lehrer das notwendige Geld zu verdienen. Da er sich in Berlin hierfür bessere Möglichkeiten verspricht, wechselt er den Hochschulort, und er wendet sich dort vor allem der Mineralogie zu. Bereits wieder ein Jahr später, 1813, ist die Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon. Friedrich Fröbel meldet sich als Freiwilliger - „nicht mit Enthusiasmus“ (1966a, S. 106f), denn von Geburt her ist er in dem kleinen Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt geboren, und Preußen empfindet er nicht als sein Vaterland. Doch als angehender Pädagoge sieht er sich in der Pflicht, für die zukünftigen Kinder das Vaterland zu verteidigen, weil er, würde er vor dieser Aufgabe zurückschrecken, den Kindern später nicht in die Augen schauen könne. An eigentlichen Kriegshandlungen nimmt Friedrich Fröbel nicht teil, weil seine Abteilung davon verschon bleibt, doch die Erfahrung jenes Jahres bringt ihm zweierlei: er wird sich der politischen Dimension des Lebens bewußt, und er lernt Männer kennen, mit denen ihn sein gesamtes weiteres Leben eine intensive Freundschaft und gemeinsame Arbeit an den Erziehungsversuchen verbinden wird: Langenthal und Middendorff. Als der Krieg beendet ist, schlägt sich Friedrich Fröbel nach Berlin durch, und er erhält eine Anstellung als Mitarbeiter am mineralogischen Museum.

·       Schul- und Internatsgründungen (1816 bis 1836)

1816 ist das Jahr der Lebensmitte Friedrich Fröbels: 34 Jahre zur Herausfindung seines Berufswunsches und zur Vorbereitung auf diesen hat er hinter sich, 36 Jahre verbleiben ihm das zu entwickeln und zu realisieren, was als seine Lebensbestimmung in ihm liegt und was ihn zu Recht zu einem Klassiker der Pädagogik machen wird. Die ersten Anfänge sind eher bescheiden. Friedrich Fröbel gibt seine Assistentenstelle am mineralogischen Museum in Berlin auf, um Pädagoge zu werden. Der älteste Bruder war gestorben, und dessen drei Kinder müssen erzogen werden. Hinzu kommen die beiden Söhne des anderen Bruders, der diese Friedrich zur Miterziehung übergibt. Die verwitwete Schwägerin kauft sich in Keilhau, einem Dorf am Rande des Thüringer Waldes, ein kleines Bauernhaus, und gemeinsam zieht sie mit Friedrich, der versprochen hatte, er wolle die „Vaterstelle“ vertreten, und ihren Kindern dort ein. Für die Witwe soll dies der Beginn einer mehr privaten Verbindung sein, in der sie sich als zukünftige Ehefrau ihres Schwagers sieht. Doch Friedrich Fröbel hegt nicht diese Absichten, für ihn ist es der Anfang einer Erziehungsanstalt, die sich in Parallelität zu den Gründungen Johann Heinrich Pestalozzis sehen läßt. Ambitionen auf die Schwägerin hegt er nicht, und als diese dies erkennen muß, zieht sie enttäuscht aus, wobei sie Friedrich Haus und Kinder überläßt.

Dieser schreibt jetzt an seine im Krieg kennengelernten Freunde Langenthal und Middendorff, sie sollten auch nach Keilhau übersiedeln, um an dem Aufbau der pädagogischen Reformbewegung teilzunehmen. Durch die beiden Freunde werden dem Institut weitere Kinder zugeführt, für das es überhaupt charakteristisch ist, daß  Berufliches und Privates sich zunehmend mehr miteinander vermischen: man heiratet untereinander, lebt und arbeitet gemeinsam. Zwei Jahre nach Gründung der „Allgemeinen deutschen Erziehungsanstalt“, wie man nicht unbescheiden formuliert, denkt Friedrich Fröbel selbst an Heirat; mit seinen eigenen Worten: „Im September 1818 holte ich mir für das nun schon erweiterte kinder- und brüderreiche Hauswesen die Hausfrau“ (1966b, S. 146). Sie - Henriethe Wilhelmine Hoffmeister - hatte Fröbel einmal kurz in Berlin gesehen, jetzt machen ihn die Freunde auf die Frau aufmerksam und Fröbel schreibt ihr einen Brief.

Die Anstalt wächst kontinuierlich: 1816 beginnt es mit 5 Jungen, 1820 sind es 12, ein Jahr später 20 Kinder und 1825 schließlich 56 (Kuntze 1952, S. 56). In seinem pädagogischen Programm ist Friedrich Fröbel „der Zeit voraus“: er versucht etwas, was ein knappes Jahrhundert später in der reformpädagogischen Bewegung auch realisiert werden soll. Eine Biographin Friedrich Fröbels gibt einen Bericht von dem Leben in Keilhau, indem sie es an die Landerziehungsheime des 20 Jahrhunderts anlehnt: „Schon äußerlich erinnert die Tracht von Lehrern und Schülern, die leinenen kurzen Hosen, die Kittel mit freiem Hals, die ziemlich langen Haare an ein Landerziehungsheim; das brüderliche Du zwischen Lehrern und Schülern ist ... der natürliche Ausdruck der Einstellung von beiden Seiten; man ist Kamerad und hilft sich. Die Schullüge existiert nicht. Abhärtung und Einfachheit der Lebensweise ist selbst­verständliche Regel. ... Man treibt gemeinsam Spiele im Freien ... Im Winter rodeln Lehrer und Schüler gemeinsam, im Sommer baden sie in der Schwarza oder Saale. Wissensstoff, der gedächtnismäßig behalten wird, tritt ganz zu­rück ... Dafür wird am Leben, an den Notwendigkeiten, die die erst entstehende An­stalt mit sich bringt, schaffend gelernt. Die Schüler ... helfen beim Hausbau, in der Ernte, auf dem Feld. ... Selbstkomponierte Lieder werden im Unterricht produziert ... Die Himmelskunde wird bei Nachtwanderungen getrieben“. (Kuntze 1952, S. 56f)

1826 ist das Jahr des quantitativen Höhepunktes der „Allgemeinen deutschen Erziehungsanstalt“ und gleichzeitig das Jahr in dem das systematische Hauptwerk Friedrich Fröbels im Selbstverlag erscheint. Das meiste, was er später verfassen wird, werden eher kleinere Schriften sein, Aufrufe, um Kindergärten zu gründen, und Broschüren, um die von ihm entwickelten Spielgaben zu erläutern; mit der „Menschenerziehung“ legt er einen umfassenden Versuch vor, das Gesamt der Erziehung im Ablauf der Entwicklung der Kinder zu erfassen. Von der Gliederung her ist diese Schrift ähnlich angelegt wie Jean-Jacques Rousseaus Emile, wenngleich die Sprache beider sich deutlich unterscheidet: schriebt dieser pointiert und spritzig, so daß die Lektüre ein großes Lesevergnügen darstellt, so ist jener in seinen Formulierungen eher umständlich und seine Schriften erfordern einen Leser, der zu anstrengender Lesearbeit bereit ist. Meistenteils sind die Sätze unendlich lang und weisen eine Gliederung auf, die nicht sogleich ins Auge springt, und eine Vielzahl von Widerholungen des gleichen Gedankens mit ähnlichen Worten verdoppeln und verdreifachen den Text, der unübersichtlich wird. Der Schreibstil Friedrich Fröbels deutet darauf hin, daß mehr ein gespürter Inhalt zu Papier zu bringen versucht wird, als daß systematisch klar ein Gedanke entfaltet werden kann. Doch - und dies kann an dieser Stelle nur als Versprechen stehen bleiben - die Lesearbeit lohnt sich, denn in Fortführung der pädagogischen Entwicklungslinie von Comenius über Rousseau zu Pestalozzi hat Friedrich Fröbel etwas Neues einzubringen. Wir werden darauf zurückkommen.

1827 schlägt die politische Reaktion in Deutschland verstärkt zu. Auch in dem liberal gesinnte Keilhauer Kreis wittert man eine Gefahrenquelle für den absolutistischen, monarchistischen Staat, da dieser - wie Fröbel schreibt - „freie, denkende, selbstthätige Menschen“ (1966b, S. 137) bilden will und durch die Erfahrung des Befreiungskrieges geprägt auf die nationale Einheit des vielfach zerteilten Deutschlands ausgerichtet ist. Nachdem die Reformphase der ersten Jahre des 19. Jahrhunderts vorüber ist, möchten die politisch Mächtigen zu der „guten alten Zeit“ zurückkehren, in der von bürgerlicher Freiheit und politischer Mitbestimmung nicht die Rede war. Maßnahmen werden getroffen, die die Einrichtung in Keilhau treffen sollen und auch treffen. 1827 verringert sich die Zahl der Kinder schlagartig auf sechs, und die wirtschaftliche Basis ist so gefährdet.

1830 übernimmt ein Mitarbeiter Friedrich Fröbels die Leitung der „Allgemeinen Deutschen Erziehungsanstalt“ und dieser selbst reist in die Schweiz. Diese Übersiedlung ist auch privat bedingt, da er der Hochzeit seiner Lieblingsnichte mit dem Mitarbeiter ausweichen will. In kurzer Zeit gründet er in der Schweiz zwei Erziehungseinrichtungen, denen allerdings auch keine große Erfolgschance beschienen ist. Schließlich wird ihm in Pestalozzis früherer Wirkungsstätte, im Burgdorfer Schloß, der Auftrag erteilt, Lehrer fortzubilden. Doch die Konfliktlinien sind immer die gleichen: die wieder erstarkte kirchliche Orthodoxie (bei Protestanten und Katholiken gleichermaßen) steht gegen das eher konfessionsübergreifende, wenig dogmatische Christentum Friedrich Fröbels; und die politische Reaktion der Restaurationszeit läßt den liberalen Vorstellungen des Pädagogen keinen Platz. Dieser erwägt zeitweise, mit seinen Freunden nach Amerika auszuwandern, um in dem freiheitlichen Klima dort ein Erziehungswerk gemäß den eigenen Vorstellungen aufbauen zu können. Dieser Plan scheitert, und 1836 kehrt Friedrich Fröbel zurück nach Thüringen. Er zieht nach Bad Blankenburg, einer kleinen Stadt in der Nähe Keilhaus, so daß der Kontakt zu den alten Freunden durch häufige Besuche aufrechterhalten werden kann.

·       Bad Blankenburg und Bad Liebenstein (1837 bis 1852)

Friedrich Fröbel ist bald 55 Jahre alt, aber noch steht ihm der Schritt bevor, der seinen Weltruhm begründen wird. Bislang hat er sich vornehmlich um eine veränderte Erziehung von Kindern im Schulalter bemüht. Je weiter diese Versuche jedoch gehen, desto zentraler wird für ihn der Gedanke, daß es das Wichtigste sei, die Anfänge der Erziehung im Auge zu haben. Erst durch die richtige Erziehung des kleinen Kindes, die dessen Entwicklungsbedürfnisse erkennt, wird das Fundament gelegt, auf dem alle weitere Bildung aufbauen kann. Durch diesen Gedanken werden ihm einerseits das Spiel als die Hauptäußerungsform des Kindes und andererseits die Familienerziehung als der Ort frühkindlichen Lebens bedeutsam. Ein Mensch entwickelt sich nicht primär dadurch, daß von Außen Informationen in seinen Kopf hinein gelangen, sondern Entwicklung ist im wesentlichen Selbstentfaltung. Das, was in dem Kind angelegt ist, muß sich in seinem äußeren Leben gestalten können, um Wirklichkeit werden zu können, und Erziehung muß vor allem Hilfe für diesen Prozeß der Selbstentwicklung sein. Jede Mutter - und diesen Gedanken kann Fröbel von Pestalozzi aufnehmen - weiß „von Natur aus“, wie sie den Bedürfnissen ihres Kindes, den körperlichen, aber auch den affektiven und kognitiven, gerecht werden kann. Doch durch den gesellschaftlichen Prozeß - wir befinden uns am Vorabend der industriellen Revolution in Deutschland - ist das „natürliche Band“ zwischen Mutter und Kind gestört, und es bedarf deshalb der kunstvollen Pädagogik, um diese ursprüngliche „Lebenseinigung“ wieder herzustellen. Wenn dies gelingt, hilft die pädagogische Reform nicht nur der Entwicklung des Kindes, sondern auch dem Erwachsenen, der von dem Kind wieder lernen kann,  mit sich selbst und seiner Umwelt im Einklang zu leben. Wird das  Kinder in Einigung mit seinem eigenen Inneren erzogen, und wird seine Beziehung zur Mutter, zum Vater und zur Umgebung auf eine neue Basis gestellt, dann wird sich auch die größere gesellschaftliche und politische Einigung ergeben. Es sind also große Ziele, die Friedrich Fröbel vor Augen schweben.

Ausgangspunkt der erzieherischen Reform ist ihm dabei das Spiel des Kindes. Es ist nicht beliebige Spielerei, Beschäftigung, damit die Langeweile vertrieben wird, sondern Ausdruck und Motor der kindlichen Selbstentwicklung. Soll das „Band“ zwischen Mutter und Kind wieder geeint werden, so muß man sich der „Sprache der Kinder“ bedienen. Friedrich Fröbel entwickelt ein System von Spielmaterialien, das beginnend mit der frühen Kindheit diesen Zweck erreichen soll. In Bad Blankenburg gründet er die „Anstalt zur Pflege des Beschäftigungstriebes für Kindheit und Jugend“, die keine pädagogische Einrichtung ist, sondern ein Wirtschaftsbetrieb, der seine „Spielgaben“ herstellen und verbreiten soll. Er selbst reist durch Deutschland, um auf sein Unternehmen aufmerksam zu machen, und er wird Herausgeber einer Zeitschrift, die nämliches bewirken soll.

Da der Absatz der produzierten Spielgaben nicht den gewünschten Erfolg hat, gründet er 1838 die „Bildungsanstalt für Kinderführer“, die sich an Männer richtet, die als Vermittler in die Familien hineinwirken sollen. Doch auch durch diese Maßnahme wird der Umsatz der Spielmittel nicht gesteigert, und so erfolgt 1840 der Aufruf zur Gründung des „Allgemeinen Deutschen Kindergartens“. Friedrich Fröbel schwebt weniger die Einrichtung einer Tageseinrichtung für Kinder in unserem Sinne vor, als daß er den Startschuß für eine große Frauenbewegung geben will, die den Druck für eine pädagogische Reform erhöhen soll. Die Mustereinrichtung „Kindergarten“, die in Bad Blankenburg entstehen soll, wird eher als Modell und Anfangspunkt einer gesamtdeutschen Bewegung verstanden. Einrichtungen zur Beaufsichtigung kleiner Kinder gab es schon vor der Gründung des Kindergartens, doch in einer Aufbewahrung der Kinder liegt nicht das Ziel des Kindergartens, der nicht die Familie ersetzen will, sondern der im Gegenteil das Familienleben, das angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen gefährdet ist, neu beleben möchte. Zur Beförderung seines Bestrebens und zu dessen ökonomischer Absicherung gründet Friedrich Fröbel eine Aktiengesellschaft, für die er sich 1000 Einzahler erhofft. Doch tatsächlich bleibt auch hier der Erfolg mäßig: 1843 - drei Jahre nach Beginn des Unternehmens - sind erst 155 Aktien gezeichnet, und nur für 37 davon wird Geld eingezahlt (siehe Prüfer 1927, S. 99). Auch die faktische Ausbreitung der Kindergärten als pädagogische Einrichtungen ist gering: 1847, sieben Jahre nach dem Startschuß,  sind es sieben (siehe Kuntze 1952, S. 112).

Das, was wir als „Kindergarten“ bezeichnen, beginnt also als vielschichtiges Unternehmen:

·       Pädagogische Einrichtungen, in denen kleine Kinder teilweise begleitet von ihren Müttern oder Kinderpflegerinnen stundenweise spielen,

·       ein umfassendes System an Spielgaben, das der Pädagogik Fröbels ihre spezifische Konzeption gibt,

·       Zeitschrift und Publikation zur Verbreitung der Ideen,

·       Ausbildungskurse für angehende Kinderpflegerinnen und Kindergärtnerinnen,

·       der Beginn einer großen Frauenbewegung, die für die Rechte der Kinder und Familien Druck machen soll.

Friedrich Fröbel ist für den Rest seines Lebens ungeachtet des ökonomischen Mißerfolges unermüdlich in dieser Sache tätig. Er hält selbst Spielstunden in den Kindergärten ab, er leitet Ausbildungskurse für Kindergärtnerinnen, er publiziert Schriften, in denen er seine Ideen erarbeitet, er entwickelt das begonnene System der Spielgaben weiter, und er hält in verschiedenen Teilen Deutschlands Vorträge. Ein mittlerweile älterer Mann, der rastlos umherreist und schließlich seine Wohnung in Bad Blankenburg aufgibt, um nur noch ein Zimmer bei den Freunden in Keilhau bereitzuhalten, von wo aus er immer wieder zu seinen Aktivitäten aufbricht.

1839, ein Jahr vor dem Aufruf zur Gründung des Kindergartens, ist seine erste Frau gestorben, und die Ehe dieses Propagandisten für das Recht des kleinen Kindes auf Erziehung und Selbstentwicklung sowie für die Erneuerung des Familienlebens ist kinderlos geblieben. Jetzt, ein Jahr vor seinem Tod, heiratet er zum zweiten Mal - er ist 69 Jahre alt, sie, seine ehemalige Schülerin, 36. Steht dieses Glück seines Lebensabends auf der Habenseite, so bildet den anderen Pol die politische Entwicklung in Preußen, die eher dunkle Schatten auf das Ende seines Lebens wirft - schwarz und weiß, dieser Kontrast hat sein Leben von Beginn an bestimmt. Im Zuge der Sozialistengesetze verbietet Preußen die Ausbreitung der Kindergärten. Will Friedrich Fröbel es zunächst so darstellen, als beruhe das Kindergartenverbot auf einer Namensverwechslung mit einem Karl Fröbel aus Hamburg, der dort die „Hochschule für Mädchen und Kindergärtnerinnen“ leitet und der der sozialistischen Bewegung nahe steht, so wissen die politisch Mächtigen sehr wohl, wen sie treffen und treffen wollen: Friedrich Fröbel, für den Freiheit in der Erziehung wichtige Forderung ist, dem es um die Selbstentfaltung des Kindes geht, und der angesichts der deutschen Revolution von 1848 geschrieben hatte: „Gegrüßet sei ... des freien deutschen Volkes Frühlingsmorgen“ (in: Kuntze 1952, S. 120). Die beginnende demokratische Lehrerbewegung hat Fröbel längst zu einem der ihrigen gemacht und ein einheitliches Bildungswesen vom Kindergarten bis zur Hochschule zu ihrer Forderung erhoben. Die Abwehr der neuen Gedanken zur frühkindlichen Erziehung durch die Vertreter der konservativen Rückwärtsbewegung nach dem Scheitern der Revolution von 1848 liegt deshalb in der Logik der Sache.

Bis zu seinem Tode kämpft Friedrich Fröbel gegen das Kindergartenverbot an, er schreibt an die Behörden und schließlich, ein dreiviertel Jahr vor seinem Tod, an den preußischen König selbst: „Die Sache der Kindheit ... kann keiner Partei angehören, deshalb eben steht meine unbeschützt innerhalb des Parteilebens. ... Ew. Majestät, ein alter Mann von siebzig Jahren, der von Ew. Majestät persönlich nichts erbittet, indem er seine Rechnung in sich mit der Welt abgeschlossen hat, bittet Sie aber im Namen der Kindheit: Lassen Sie den Keim einer neuen Menschenbildung für Sitte, Gesetz und Religion nicht zertreten! Nehmen Sie ihn unter Ihren mächtigen Schutz ... Lassen Sie die Kindheit das ihr zukommende Glück ungestört im Kindergarten finden, daß sie damit für die schweren Kämpfe des kommenden Lebens gestärkt werde!“ (in: Prüfer 1927, S. 130) Doch alles ohne Erfolg. Die Aufhebung des Kindergartenverbots im Jahre 1860 erlebt er nicht mehr. Bereits acht Jahre vorher, am 21. Juni 1852 stirbt er in der Nähe von Bad Liebenstein, wohin er drei Jahre zuvor gezogen ist.

b) Menschenerziehung

Friedrich Fröbel ist nicht der Autor, der am Schreibtisch sitzt, Bücher durcharbeitet und eine abstrakt-deduktive Erziehungstheorie zu Papier bringt. Sicherlich, er hat gelesen, was der Klassiker der Pädagogik, Johann Heinrich Pestalozzi, geschrieben hat, und er hat auch einige zeitgenössische Schriften zur Kenntnis genommen und sich teilweise von ihnen begeistern lassen. Doch der Haupthintergrund seines Schreibens ist die eigene Erfahrung: die Reflexion der selbst erlebten, schweren Kindheit einerseits und die Verarbeitung seiner Erzieher- und Lehrertätigkeit in Keilhau andererseits. Bei Johann Heinrich Pestalozzi war dies nicht anders, und in der folgenden Phase der Reformpädagogik werden wir auf das gleiche Phänomen stoßen, daß die eigenen pädagogischen Erlebnisse der wichtigste Ausgangspunkt einer verallgemeinernden Theorie sind. Die geisteswissenschaftliche Pädagogik des 20. Jahrhunderts wird es als allgemeines Gesetz formulieren, daß Theoriebildung sich dem Primat der Praxis zu unterwerfen habe: Sie entspringt aus der erzieherischen Praxis, deren Erfahrungen sie verarbeitet, und sie weist auf die Praxis zurück, an deren Verbesserung im Sinne einer stärkeren Berücksichtigung der Eigenrechte der Kinder und Jugendlichen sie interessiert ist. Die Theoretiker stehen nicht oberhalb des erzieherischen Alltags, sondern sie teilen - wie man dies formulieren wird - die Verantwortung der Praxis.

Im Sinne dieser Bestimmung des Verhältnisses von Theorie und Praxis ist Friedrich Fröbel ein Musterbeispiel: Mehr durch Zufall, so scheint es, kam er zu dem Erzieherberuf, doch betrachtet man seine eigene Entwicklung - die fehlende Mutter, die problematische Beziehung zum Vater, die unzureichende systematische Bildung, - dann wird man in dieser Tätigkeitswahl sehr wohl biographische Notwendigkeit sehen; um für sich ein einheitliches Menschen-, Welt- und Gottesbild zu finden, das das im eigenen Inneren Gefühlte in Worte faßt, studierte er an verschiedenen Universitäten Naturwissenschaften, ohne dabei einen akademischen Abschluß zu erwerben; jetzt ist er „Stifter, Begründer und Vorsteher“ (wie es auf dem Titelblatt der „Menschenerziehung“ heißt) einer umfassenden Erziehungseinrichtung, in der berufliche Arbeit und privates Leben auf vielfältige Weise verquickt sind. Er hat vor, seine Erfahrungen und seine Gedanken in einem großen pädagogischen Werk zu verarbeiten, und durch die Veröffentlichung hofft er, einen Impuls zur verallgemeinernden pädagogischen und über sie hinaus auch zur gesamtgesellschaftlichen Reform zu geben. Auf zwei Bände ist das Werk angelegt, in dem ersten geht es um die Erziehung und Bildung des Kindes, in dem zweiten soll es um das Jugendalter gehen. Doch dieser zweite Band erscheint nicht, weil Friedrich Fröbel aus der Keilhauer Arbeit ausscheidet, so daß er an dem Heranwachsen der ehemaligen Kinder keinen unmittelbaren Anteil mehr hat. Statt dessen wird er sich der frühen Kindheit verstärkt zuwenden.

·       Grundgedanken

Der Mensch ist von Natur aus gut - das war die Überzeugung der großen Klassiker der Pädagogik von Comenius über Rousseau bis hin zu Pestalozzi. Auch für Friedrich Fröbel ist die ursprüngliche Güte eine nicht hintergehbare Ausgangsthese. Sie ergibt sich aus seinem Menschen-, Welt und Gottesbild, das wir unter dem Stichwort „Sphärisches Gesetz“ bereits oben angesprochen haben. In der Formulierung des ersten Satzes der Menschenerziehung lautet es: „In allem ruht, wirkt und herrscht ein ewiges Gesetz“ (1982, § 1), und in diesem liegt das Göttliche begründet. Es gilt zu unterscheiden zwischen der äußeren Erscheinung, die die Oberfläche einer Sache, der Natur oder des Menschen zeigt, und dem inneren Wesen, dem Kern. Wenn ich einen Menschen betrachte, sehe ich seine Hände, Arme und Beine, und beachte ihre Bewegungen, ich höre den Schall der von ihm gesprochenen Wörter, ich sehe das Gesicht, die Augen, das Mienenspiel. Das, was das „Wesen“ dieses besonderen Menschen ausmacht, kann ich nicht sehen, obgleich es das eigentlich Entscheidende ist, was den Händen, Armen und Beinen den Befehl zu einer bestimmten Bewegung gibt, den ausgesprochenen Wörtern ihre Bedeutung verleiht und hinter der Gesichtsmine ein Gefühl vermittelt. Das Innere des Menschen - seine Gedanken, Gefühle und Glaubensüberzeugungen, das, woran sein Herz hängt, seine Identität - all dies läßt sich mit den Sinnen nicht wahrnehmen; auch wenn wir den Menschen aufschneiden würden, wenn wir bis in sein Herz vordringen würden, das Menschliche des Menschen und seine unwandelbare Individualität bekämen wir dadurch nicht zu Gesicht. Aber doch läßt sich nicht bezweifeln, daß es dieses „Innere“ gibt, weil wir sonst nicht erklären könnten, warum ein Mensch liebt oder haßt, warum er auch gegen den eigenen Egoismus einem anderen hilft, warum er sich und seinem Leben einen Sinn verleiht.

Nun läßt sich nicht sagen, daß das innere Wesen das eigentlich Wichtige sei, dem gegenüber die äußere Erscheinung eine zu vernachlässigende Größe wäre. Wenn das, was im Innneren eines Menschen (bei Friedrich Fröbel aber auch des Steines, der Pflanze, des Tieres) „ruht, wirkt und herrscht“, keine Form bekäme, nicht nach Außen erscheinen würde, könnten wir nichts von der uns umgebenden Welt, von den anderen Menschen, aber auch von uns selbst wissen, wir würden uns nicht entwickeln, sondern alles (einschließlich unserer selbst) wäre in einen undurchschaubaren Nebel eingehüllt. Es kommt also auf das Verhältnis von Innen und Außen an. Wir müssen  den innerlichen Impulsen äußerlich Gestalt geben (z.B. unserer Wut durch einen kräftigen Schlag auf die Tischplatte) und durch Wahrnehmung und Erfahrung in der Außenwelt unserer wesensmäßigen Bestimmung Entfaltungsmöglichkeit eröffnen (z.B. durch das Erlernen eines Musikinstrumentes der in uns angelegten Musikalität). Erst aus dem Wechselspiel von Innen und Außen ergibt sich Entwicklung. Diese verläuft dann glücklich, wenn die Möglichkeiten, die von Außen (u.a. durch die Erziehung) dem Kind angeboten werden, den im Inneren des individuellen Menschen grundgelegten Gedanken und Empfindungen entsprechen.

Wie gesagt: das Wechselspiel von Innen und Außen ist kein auf den Menschen allein bezogenes Phänomen, sondern es ist eine allgemeine Lebenserscheinung, die die mineralische, pflanzliche, tierische und menschliche Welt durch das sphärische Gesetz verbindet. Was im Vergleich zu der übrigen Naturentwicklung für den Menschen charakteristisch ist, ist die Bewußtheit und damit die Freiheit. Der Ausgleich von innerer (göttlicher) Bestimmung und äußerer Formbildung, die Entwicklung zu einer „Ich-Identität“ (ein Ausdruck, den Friedrich Fröbel noch nicht benutzt), durch die der Mensch sich zu dem hin entwickelt, was in ihm als höheres Gesetz angelegt ist, geschieht nicht naturwüchsig, triebhaft automatisch, sondern dadurch, daß das Kind im Verlaufe seiner Entwicklung immer mehr Selbstbewusstsein gewinnt, und sich so absichtlich selbst gestalten kann, wie und was er werden will und soll. Aus diesem Gedankengang ergeben sich Konsequenzen für das Kindesbild, für die Betrachtung der kindlichen Entwicklung, für die Kritik an der bestehenden Erziehungswirklichkeit und für den positiven Erziehungsbegriff. Diese Punkte wollen wir kurz nachzeichnen.

Jedem ungeborenen Säugling ist seine menschliche Bestimmung als Potentialität, als Kern seiner Persönlichkeit, eingegeben, auch wenn es selbst und seine Eltern diese Möglichkeit noch nicht erkennen können. Dieses innere Wesen muss, weil es spezifischer Ausdruck eines allgemeingültigen, alles beherrschenden Gesetzes ist, von Natur aus gut sein. Es ist, wie Friedrich Fröbel formuliert „das erscheinende und erschienene Göttliche in menschlicher Gestalt ... ein Unterpfand der Liebe, der Nähe, der Gnade Gottes“ (1982, § 15), und die Eltern sind deshalb aufgefordert, sich selbst „als Bewahrer, Behüter und Pfleger einer Gottesgabe“ (1982, § 17) zu betrachten. Der Mensch kann also nicht von Natur aus schlecht sein, und wenn das Kind doch als böse erscheint, so kann dies nur an seiner falschen Erziehung liegen, die dieses Kind von seinem eigenen Weg abgeführt hat. Der ehedem als verhaltensgestört geltende Friedrich Fröbel kann in diesem Falle nur den Rat geben, bei einem „schwierigen“ Kind den Weg zu den ursprünglich guten Quellen wieder zurückzugehen und diese zu stärken. Das „göttliche“ Gute und die Bestimmung, es im Verlaufe der Entwicklung nach Außen darzustellen, ist jedem Kind und allen Menschen gemeinsam; wie sich dies aber für den einzelnen Menschen konkretisiert, ist eine „Eigentümlichkeit“ eines jeden Individuums, eine einmalige Variante eines einheitlichen Planes. Jeder Mensch muss seine Eigentümlichkeit zur Darstellung bringen, und die Erziehung eines jeden Kindes muss auf seine spezifische Persönlichkeit bezogen werden.

Neben diesem anthropologischen Gedanken, der die allgemeine und besondere menschliche Bestimmung umreißt, steht die Beschreibung der menschlichen Entwicklung, die Friedrich Fröbel in vier Stufen aufteilt: Säuglingsalter, frühe Kindheit, Knaben- und Jünglingsalter (dass er der Konvention folgend die männliche Formulierungsform wählt, sollte einstweilen nicht stören; in seiner Pädagogik nimmt der Gedanke einer geschlechtsspezifischen Erziehung sehr wenig Raum ein). Für jede dieser Entwicklungsphasen gilt ein unterschiedliches Verhältnis von Innen und Außen, so dass dieses Begriffspaar an die Stelle des Verhältnisses von Kraft und Bedürfnis tritt, das für Jean-Jacques Rousseaus Bestimmung der Entwicklungsstufen zentral war. Gibt es so charakteristische Unterschiede zwischen Friedrich Fröbel und Jean-Jacques Rousseau, so eint sie doch der wichtige Gedanke, dass die Phasen im Verlauf der menschlichen Entwicklung nicht quantitative Unterschiede kennzeichnen, so daß das Kind ein kleiner, schwächerer, dümmerer Erwachsener wäre, sondern dass qualitative Differenzen zwischen den einzelnen Stufen bestehen. Die Entwicklung der Kinder wird dann richtig verlaufen, wenn den Bedürfnissen und Eigentümlichkeiten der jeweiligen Phase voll entsprochen wird. Nicht das Kind sich weiter denken, als es ist, sondern ihm Hilfe für sein jetziges Leben geben, ist die pädagogische Schlussfolgerung.

Wenn die wesensmäßige Bestimmung des Menschen in seinem eigenen Inneren Grund gelegt ist, dann darf die Erziehung keine „tätige, vorschreibende und bestimmende, eingreifende“ (1982, § 8), sondern sie muss „leidend, nachgehende (nur behütend, schützend)“ (1982, § 7) sein. Je jünger die Kinder sind, desto wichtiger ist dieser Gedanke, da die „Eigentümlichkeit“, die Individualität, die Einmaligkeit seiner spezifischen Menschwerdung noch nicht erkannt werden kann, auf die aber alles ankommt. Das entscheidende Wort in dem Erziehungsbegriff Friedrich Fröbels ist das des „Selbst“: Selbsttätigkeit, Selbstbewusstsein, Selbstentwicklung. Der Erzieher darf das Kind nicht wie ein „Wachsstück“, einen „Tonklumpen“ behandeln, und die Erziehung und Bildung ist von der Vermittlung der Überfülle „aufgebürdeter, angehefteter, fremdartiger ... Kenntnisse“ (1982, § 86) zu befreien, damit das Kind wieder zum selber denken, selber sehen, selber handeln, selber fühlen kommen kann. Dabei sollte „nachgehende“ Erziehungsvorstellung Friedrich Fröbels nicht mit einem passiven, schwachen Erziehungsbegriff verwechselt werden, denn es geht nicht um eine unbeteiligte Distanz des Erziehers zu dem Kind, um die belanglose Meinung, sie sollten doch machen, was sie machen wollten (Hauptsache sie stören uns nicht). Im Gegenteil: die Erziehung stellt hohe Anforderungen an den Erwachsenen, der eine intensive Beziehung zu den Kindern gestalten soll - mit dem bereits zitierten Wort Friedrich Fröbels: „Kommt. laßt uns unsern Kindern leben!“ Nicht unverbindlich ein Kind zu „begleiten“, fordert er, sondern es gilt, das Leben der Kinder mit dem unsrigen auf existentielle Art zu verbinden. Wird dieser Anspruch realisiert, dann hilft sich der Erwachsene auch  selbst. So wie im Erziehungsprozess die Gefahr groß ist, das Kind zu etwas zu manipulieren, was es nicht ist, so werden die Erwachsenen im gesellschaftlichen Verkehr von ihrem eigenen Wesen selbst entfremdet: „wir sind tot, was uns umgibt, ist für uns tot“ (1982, §41), Wenn wir deshalb von den Kindern, die in ihrer Spontaneität und Unverdorbenheit noch ein wenig näher an der Natürlichkeit stehen, lernen, dann können wir in dem gemeinsamen Leben auch wieder zu uns selbst finden. In dem Prozess einer richtig verstandenen, aktiven, auf das Kind zugehenden Erziehung - so hat es Friedrich Fröbel für sich persönlich erfahren - können wir in unsere eigene Kindheit zurückgehen und die Behinderungen aufheben, die die negative erzieherische Manipulation uns zugefügt hat.

·       Säuglingsalter und (frühe) Kindheit

Das Verhältnis von Innen und Außen bestimmt die Konstruktion der Entwicklungsstufen - so haben wir gesagt. Der Säugling hat noch keine Vorstellung von der Welt außerhalb von ihm, aber deswegen auch noch keine Vorstellung von sich selbst, weil erst in der Entgegensetzung etwas erkannt werden kann (um sich dies zu verdeutlichen, denke man sich eine Welt, in der es im täglichen Ablauf der Erscheinung die „Nacht“ nicht gäbe; schwerlich ließe sich vorstellen, dass die Menschen dann ein Bewusstsein von „Tag“ hätten, weil sich der „Tag“ erst im Kontrast zu der „Nacht“ ergibt). Die erste Aktivität, die der Säugling reflexartig und als lebensrettenden Instinkt beherrscht, ist das Saugen, durch die Äußeres (die Muttermilch) in das Innere des Kindes (seinen Mund, Magen, Darm) gelangt. Dieses Saugen ist über die körperliche Ernährung hinaus gleichermaßen auf das Psychische zu beziehen: insbesondere durch seine Sinne (Friedrich Fröbel schreibt in seiner symbolischen Deutung der Sprache: „S-inn, d.i. selbsttätige Innnerlich-Machung“, 1982, § 25) s-augt (1982, § 20) der Säugling die umgebenden Gegenstände auf, absorbiert sie. Diese Wahrnehmungen der Neugeborenen sind von Beginn an nicht das passive Eindrücken äußerer Erscheinungen, sondern Aktivität des Selbst des Kindes; es selbst muss sehen, hören, fühlen usw. Die pädagogische Aufgabe des Erwachsenen ist es dabei, dem Kind die Dinge zu seiner Wahrnehmungsaktivität anzubieten, die für seine Entwicklung förderlich sind. Dabei zeigt sich von Anfang an ein spielerischer Aspekt, der von Jean Piaget im 20. Jahrhundert mit dem Begriff des „Übungsspiels in der sensomotorischen Phase“ belegt wird: nicht um etwas von Innen her in symbolischer Form darzustellen, sondern um seine Wahrnehmungs- und Handlungskräfte zu „üben“ spielt der Säugling. Die Erziehung des Säuglings erschöpft sich jedoch nicht in der Erforschung der empirischen Wirklichkeit, sondern sie weist gleichermaßen eine metaphysische Dimension auf, wobei Friedrich Fröbel an das anknüpfen kann, was Johann Heinrich Pestalozzi bereits zu diesem Thema geäußert hat: Indem das Neugeborene zunächst in der Beziehung zu der Mutter, danach auch in der Familie insgesamt Gemeinsamkeit erfährt, erwirbt es ein „Gefühl“ des Zusammenhangs des eigenen Lebens mit dem der anderen, und dieses „Gemeingefühl ist der äußerste Keim ... aller echten Religiosität, alles echten Strebens nach ungehemmter Einigung mit ... Gott“ (1982, § 21).

In der auf das Säuglingsalter folgenden Phase der Kindheit kehrt sich das Verhältnis von Innen und Außen um. Jetzt steht der Aspekt im Vordergrund, Innerliches äußerlich zu machen. Etwas, was im Kopf des Kindes als Gedanke, als Wunsch, als Phantasie vorhanden ist, muß ausgedrückt werden, damit dem Herumschwirrenden eine Form gegeben werden kann. Herausgehobenes Mittel dazu ist die Sprache, derer das Kind jetzt mächtig wird. Nehmen wir das gerade einjährige Kind, das durch intensive Bemühungen der Eltern veranlasst beim Zeigen des Autos „Auto“ sagt. Eigentlich ist dies noch keine Sprachäußerung, sondern gehört als Bestandteil der kombinierten Wahrnehmung von Sehen (des Autos) und Hören (des Wortes „Auto“ seitens der Eltern) zu der Gesamtsituation. Das beinahe zweijährige Kind wird dagegen sprechen: „Autofahren“, und dann nicht nur eine Handlungsreaktion auf den dargebotenen Wahrnehmungsreiz zeigen, wenn  es damit einen inneren Wunsch ausdrückt. Es mag sein, dass es mit dem Auto mitfahren will, es mag sein, dass es Angst vor dem Autofahren hat (und durch ein weinerliches Gesicht die Worte begleitet), es mag sein, dass es nicht will, dass der Vater ,mit dem Auto davon fährt. Die Formung von Zunge, Kehlkopf, Lippe usw. zu dem Satz „Autofahren“ ist bedingt durch den Wunsch, die Angst oder Verzweiflung des Kindes. Innerliches wird äußerlich gemacht.

In diesem Prozeß der Formung gestaltet sich gleichermaßen das Innere neu, indem nicht nur den anderen etwas zu Gehör gebracht wird, sondern indem der formulierte Inhalt in das Selbstbewußtsein des sprechenden Kindes hineinkommt. Dies kann jeder für sich in der Eigenreflexion erfahren: Nehmen wir an, irgend ein unangenehmes Gefühl schwirrt in uns herum, dem wir vielleicht nur durch ein griesgrämiges Gesicht Ausdruck verleihen. Jetzt tritt jemand hinzu und fragt uns, welche „Laus uns über die Leber“ gelaufen sei, um so ein Gesicht zu ziehen. Wir, so durch den anderen gezwungen, formulieren jetzt erstmals laut den Grund unserer Missstimmung; und vielleicht schon indem wir die Worte selbst aus unserem eigenen Mund kommen hören, sind wir über uns selbst überrascht. Erwachsene haben diese Erfahrung, etwas, das sie gedanklich oder gefühlsmäßig bewegt, durch Worte Ausdruck verleihen zu können, schon oft gemacht; für das kleine Kind, das gerade sprechen lernt, stellt diese Erfahrung ein ungeheures Erlebnis dar, die sowohl die eigene Innen- wie das Verhältnis zur Außenwelt enorm bereichert. Sprache ist für das kleine Kind eine wichtige, aber nicht die einzige Form, die Gefühle und Gedanken zum Ausdruck bringen zu können. Gerade weil es erst dabei ist, sprechen zu lernen, ist das (Symbol-) Spiel eine zweite herausgehobene Möglichkeit dazu. Kurz verwiesen werden soll an dieser Stelle lediglich auf nebenstehendes Zitat, das die große Bedeutung, die Fröbel dem Spiel in der Phase der frühen Kindheit zuspricht, zum Ausdruck bringt.

·       Knaben- und (Schul-)alter

In der dritten Entwicklungsphase kehrt sich das Verhältnis von Außen und Innen abermals um. Das Kind will alles lernen, was es über die Dinge draußen, die Pflanzen, Tiere und Menschen sich aneignen kann, es will verstehen, was es in der Welt gibt, wie die Dinge funktionieren und wie sie untereinander zusammenhängen. Dabei unterscheidet sich seine Situation von der des Säuglings, bei der ebenfalls der Pol der Innerlichmachung des Äußeren im Vordergrund stand, dadurch, daß es sich der Bedeutsamkeit der eigenen Innenwelt bewußt geworden ist. Deshalb versucht das Kind, nicht nur die Dinge zu sehen, zu hören, zu fühlen, zu benennen, sondern es will herausfinden, was „die Welt im Innern zusammenhält“. Das Schulkind hat eine „Ahnung“, daß auch in und über der Außenwelt „ein ähnlicher Geist wie in ihm und über ihm lebe, ... ihn durchdringe, und es treibt ihn ein inniges, unwiderstehliches ... Sehnen, sich dieses allwaltenden Geistes bewußt zu werden“ (1982, § 58). Friedrich Fröbel nennt eine Reihe von Tätigkeitsformen, die für dieses Alter typisch sind, und an denen sich das allgemein Gesagte darstellen läßt (1982, § 49):

·       der Gestaltungstrieb, das nachzuahmen, was es in seiner Umgebung an ernsthaften Tätigkeiten sieht;

·       die Mitarbeit in den alltäglichen Angelegenheiten der Familie;

·       das Klettern, um einen Überblick zu gewinnen,

·       das Steigen in Höhlen, um Unbekanntes zu entdecken,

·       das Spielen mit Sand und Lehm und damit das Gefühl, selbst „über den Stoff zu herrschen“,

·       die Pflege des eigenen Gartens als Vorbereitung auf die Pflege des eigenen Lebens,

·       das Spiel, das sich in diesem Alter als soziales Regelspiel äußert,

·       das Hören und Lesen von Sagen, die mit der Vergangenheit bekannt machen,

·       die Fabeln und Märchen, die noch nicht Verstandenes erklären,

·       das Singen von Liedern, die ein unaussprechbares Gefühl ausdrücken,

·       das Kämpfen, das dem Schulkind „Spiegel der  ihn künftig erwartenden Kämpfe des Lebens“ ist.

Damit die Erziehung des Schulkindes (genauer gesagt müßten wir hier von „Unterricht“ reden, da Friedrich Fröbel diesen Begriff für diese Entwicklungsphase in der Vordergrund stellt, während es im Säuglingsalter der der „Pflege“ und in der frühen Kindheit der der „Erziehung“ ist) den Entwicklungsbedürfnissen entspricht, bedarf es einer Schule, die ein richtiges pädagogisches Verständnis aufweist. Deren wichtigstes Kennzeichen ist es, auf die innere Einheit aller Dinge ausgerichtet zu sein. Nicht indem dem Kind möglichst viele Fakten äußerlich wissend vermittelt werden, wird dieses Ziel erreicht, sondern dadurch, daß das Bedürfnis des Kindes, den erahnten Zusammenhang zu bereifen, im Vordergrund des Unterrichts steht. In drei Bereichen liegt der Schwerpunkt einer solchen Schule: in der Menschen-, in der Natur- und in der Gotteserkenntnis, womit sich die drei Hauptgegenstände des Unterrichts ergeben: Sprach-, Naturkunde- und Religionsunterricht, die wiederum mit drei psychischen Kräften in dem Kind in Beziehung stehen: Vernunft, Verstand und Gemüt. Für alle drei Unterrichtsbereiche gilt dabei gleichermaßen, daß sie nicht als isoliertes Faktenwissen dem Kind zu präsentieren sind, sondern daß deren Bezug auf das Leben des Kindes im Vordergrund stehen muß. So hat der Religionsunterricht auf die „wahre - wenn auch ... unbewußte Religion im Gemüte des Menschen“ (1982, § 60) bezogen zu sein, die Naturkunde soll in dem unmittelbaren Erlebnis mit der Natur begründet sein, und die Sprache soll als Mittel, das aktive, eigene Leben auszudrücken, begriffen werden. Es ist der zentrale Bezug zu dem Selbst jedes einzelnen Kindes, der den Erziehungsbegriff Friedrich Fröbels kennzeichnet. Wir sollten das nicht mehr tun, was die faktische, schlechte Erziehungsrealtität macht, indem sie „uns und unseren Kindern ... die unaussprechliche Freude (raubt), daß in ihrem Innern, in ihrem Geiste und Gemüte, die Quelle ewigen Lebens“ fließt (1982, § 86).


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