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Sigurd
Hebenstreit
Friedrich
Fröbel (1782 bis 1852): „Äußerliches
innerlich und Innerliches äußerlich
machen“
a)
Biographisches
Einige
der Städtchen und Dörfer, in denen Friedrich
Fröbel im Verlaufe seines Lebens wohnt,
wird man wohl auf der Landkarte nachschlagen
müssen: Stadt-Ilm, Hischberg/Saale,
Jena, Baunach, Bamberg, Neubrandenburg,
Frankfurt, Göttingen, Berlin, Keilhau,
Wartensee, Willisau und Burgdorf (die
letzten drei liegen in der Schweiz),
Bad Blankenburg, Bad Liebenstein. Auf
den ersten Blick mögen die vielen Orte
auf ein unruhiges Wanderleben ohne Heimat
schließen lassen, doch auf den zweiten
Blick sieht man, daß die verschiedenen
Stationen sich wie konzentrische Kreise
um des Geburtsort Oberweißbach legen,
ein Dorf im Thüringer Wald. Zwischen
dem Ort des Lebensanfangs und des Lebensendes
liegt eine Entfernung von 60 km Luftlinie,
und von Oberweißbach zu dem kleinen
Dorf Keilhau, der Ort, an dem Fröbel
am längsten lebt und der Mittelpunkt
der Gemeinschaft ist, die ihm heimatlichen
Rückhalt gibt, sind es 15 km.
·
Zwei Kindheiten
(1782 bis 1797)
Eine
schroffe Schwarz-Weiß-Zeichnung charakterisiert
das Leben des kleinen Friedrich Fröbel,
weshalb wir von zwei Kindheiten sprechen.
Am Beginn steht die schwarze Farbe,
die schwärzer wir uns nicht vorstellen
können. Als der Säugling ein drei Viertel
Jahr alt ist, stirbt seine Mutter, und
die Frau, die der Vater zwei Jahre nach
dem Tod der ersten heiraten wird, kann
dem Kleinen die Liebe, derer er dringend
bedarf, nicht ersetzen. Geht es am Anfang
zwar noch einigermaßen gut, so verkehrt
sich das Verhältnis zwischen dem kleinen
Jungen und der Stiefmutter spätestens
dann in Haß, als diese selbst eigene
Kinder bekommt. Dem kleinen Friedrich,
der bislang mit „Du“ angesprochen wurde,
wird jetzt diese Anrede zuungunsten
des unpersönlichen „Er“ entzogen; und
nicht nur, daß sie das Stiefkind schlecht
versorgt, sondern sie schreibt ihm prinzipiell
alles Schlechte zu: beim Streit mit
den jüngeren Geschwistern gilt er immer
als der Schuldige, und wenn dem Jugendlichen
und Heranwachsenden später von anderen
schlechte Zeugnisse ausgestellt werden,
so wird die Stiefmutter nur mit vollem
Herzen und auch bitterer Ironie einstimmen
können. Ihr negatives Bild von dem Jungen
wird in der empirischen Wirklichkeit
oft bestätigt: er ist ein schlechter
Lerner und er gibt häufig Anlaß - um
es mit einem Wort aus unseren Tagen
auszudrücken -, ihn als „verhaltensgestört“
zu bezeichnen. Die Stiefmutter hat allem
Grund, ihren Mann erfolgreich dahingehend
zu beeinflussen, daß dieser in die Bildung
und berufliche Ausbildung des jüngsten
Sohnes aus früherer Ehe nicht viel investiert.
1782
|
21. April:
Geburt in Oberweißbach
|
1792
|
Umzug zum
Onkel nach Stadt-Ilm
|
1797
|
Forst-Geometerlehre
|
1799
|
Studium
in Jena
|
1802
|
Forstamtsaktuar
in Bamberg
|
1804
|
Privatsekretär
bei Neubrandenburg
|
1805
|
Lehrer
und Erzieher in Frankfurt
|
1808
|
Aufenthalt
in Yverdon bei Pestalozzi
|
1811
|
Studium
in Göttingen und Berlin
|
1816
|
Gründung
der Erziehungsanstalt
|
1831
|
Aufenthalt
in der Schweiz
|
1837
|
Umzug nach
Bad Blankenburg
|
1840
|
Kindergartengründung
|
1851
|
Kindergartenverbot
in Preußen
|
1852
|
21. Juni:
Tod in Marienthal
|
Das
Fehlen der mütterlichen Liebe ist schlimm,
noch schlimmer aber ist, daß der Vater
diesen Mangel weder kompensieren kann
noch will: „eben
so wenig einen Vater, wie ... eine Mutter“
(1966a, S. 32f) zu haben, ist das Schicksal
Friedrich Fröbels. Der Vater ist Pfarrer
in dem Geburtsort Oberweißbach, und
noch heute kann man die Kirche besuchen,
die in seiner Amtszeit gebaut wurde:
die zweitgrößte Hallenkirche Thüringens,
ein imposanter Bau mit einer die drei
Kirchenseiten einrahmenden doppelstöckigen
Empore und einer überdimensionalen Kanzel
im Altarraum. Wenn man in der Kirche
sitzt, kann man die Angst des kleinen
Jungen nachempfinden: der Vater hoch
oben auf der Kanzel, übermächtig vor
dem kleinen Sünder in dem Kirchenraum,
oder der Blick von der oberen Empore,
die steil nach unten abfallend den Blick
auf die verschwimmende Gemeinde unter
bloßlegt. Der Vater ist mit der Beaufsichtigung
des Kirchenbaus mehr als ausgelastet,
dazu kommt noch seine umfassende seelsorgerische
Tätigkeit für eine 5000 Menschen umfassende
Gemeinde, die in mehreren Dörfern verstreut
lebt.
Vater
und Sohn bleiben sich fremd, weil der
Vater kein Verständnis für den Jungen
aufbringt, der nicht so funktioniert,
wie er soll. Allein die Gartenarbeit,
die der Vater als Ausgleich betreibt,
verbindet die beiden, ein nicht unwichtiges
Datum für den Pädagogen, der mit seiner
Wortschöpfung „Kindergarten“
einen Ausdruck geprägt hat, der uns
selbstverständlich geworden ist, und
der als „Fremdwort“ in andere Sprachen
(z.B. ins Englische und Japanische)
eingegangen ist. Die Distanz von Vater
und Sohn besteht, obwohl der kleine
Friedrich das Schicksal der meisten
Pfarrerskinder teilt, die mit hineingenommen
werden in den Berufsalltag des Pfarrervaters:
Jeden Sonntag sind es zwei Gottesdienste,
die der Junge besuchen muß, und er erlebt
die Predigten des Vaters als in einer
„Steinsprache“
(1966a, S. 38) gesprochen, weil die
persönliche und emotionale Bedeutung
des Gesagten hinter der Form des Ausdruckes
wie eingemauert erscheint. Und das Kind
ist bei den seelsorgerischen Gesprächen
des Vaters zugegen, deren Inhalt häufig
die Sexualität berührt. So wie der Vater
über sie redet, muß sie dem kleinen
Friedrich als eine „der drückendsten und lastendsten“ (1966a,
S. 39) Gegenstände für den Menschen
erscheinen, und erst als der ältere
Bruder ihm an der Pflanzenwelt die geschlechtlichen
Unterschiede zeigt, kann Friedrich eine
andere, natürliche Einstellung zur Sexualität
gewinnen.
Angesichts
der Übermacht des Vaters und der kindlich
selbstverständlichen Suche nach der
Liebe der Eltern beschließt das Kind
„recht brav und gut zu werden“ (1966a, S.
35). Doch die Vorurteile der anderen
sind stärker: Alles, was Friedrich tut,
bestätigt ihnen, daß er zum Lernen zu
dumm und sein Charakter böse ist. Die
Mauer läßt sich nicht überwinden, und
es bleibt für den kleinen Jungen nur
der Rückzug in die Innerlichkeit des
eigenen Lebens, die den anderen verborgen
ist. Als er ein wenig größer wird -
obwohl aus der Sichtweise unserer Kindheitsvorstellungen
würden wir ihn nicht als „groß“ und
„selbständig“ bezeichnen - versucht
er durch Flucht der unerträglichen Situation
zu entkommen. Wie die älteren Geschwister,
die bereits alle aus dem Haus sind und,
wenn sie zu Besuch kommen, den kleinen
Bruder „gegen Mißhandlung in Schutz“
nehmen (1966a, S. 43), sehnt sich
auch Friedrich nach einem Ende des Martyriums.
Dazu bietet sich Gelegenheit, als ein
Onkel bei einem Besuch in Oberweißbach
die problematische Situation erkennt
und dem Vater vorschlägt, den 10jährigen
bei sich aufwachsen zu lassen. Er, der
Bruder der leiblichen Mutter, ist Superintendent
in Stadt-Ilm, seine Frau und das einzige
Kind sind ihm früh gestorben, und er
lebt jetzt mit seiner Schwiegermutter
zusammen. Der Vater „willigte leicht und gern ein“ (1966a, S. 45), daß sein Sohn das Elternhaus
verläßt, und so kann die zweite, weiße,
Kindheit Friedrich Fröbels Raum erhalten.
Die Suche nach dem verlorenen Vater
bleibt für Friedrich Fröbel eine lebenslange
Wunde. Noch der Erwachsene wird in seiner
Biographie mit bewegten Worten den Wunsch
äußern: „Möge
sein (des Vaters)
verklärter Geist jetzt, wo ich dieses
schreibe, beruhigt und segnend auf mich
herab sehen; möge er nun mit dem Sohne,
der ihn so sehr liebte, zufrieden sein“
(1966a, S. 62).
Für
den 10-jährigen ist der Umzug ein Akt
der Befreiung: nicht mehr in Haus und
Garten ist er eingesperrt, die von Mauern
und einer Felswand umgeben einen Blick
in die weite Natur versperren, sondern
er kann frei die Umgebung erforschen;
der ungezwungene Umgang mit den Kindern
der Nachbarschaft kann sich im Spiel
ausdrücken, wenngleich Friedrich noch
einen Nachholbedarf hat, um seine anerzogene
diesbezügliche Unbeholfenheit zu überwinden;
er kommt in die Jungenabteilung der
Stadtschule, während er in Oberweißbach
auf väterlichen Geheiß die Mädchenklasse
besuchen mußte; und schließlich erfährt
er durch den Onkel einen neuen Zugang
zum Christentum: nicht der strafende
Gott des Vaters, sondern der den Menschen
liebende, um sein Wohl besorgte Gott
wird gepredigt und gelebt. Entsprechend
seiner eigenen Erfahrung mit den beiden
Männer zeichnet Friedrich Fröbel sie
in scharfem Kontrast, und er macht keinen
Hehl aus seiner Überzeugung, daß er
die menschenfreundliche Art des Onklels
der autoritären, abweisenden des Vaters
vorzieht.
Obwohl
die fünf Jahre bei dem Onkel für Friedrich
Fröbel eine zweite Kindheit sind, die
viel von den negativen Erfahrungen im
väterlichen Haus kompensiert, scheint
sich die „Verhaltensstörung“ des Kindes
nicht beigelegt zu haben. Anläßlich
der anstehenden Entscheidung, was nach
der Konfirmation aus dem Jungen werden
solle, schreibt der Onkel an den Vater:
Friedrich „müsse etwas Festes zu tun
bekommen, er lerne vielleicht anderwärts
besser aufs Wort merken und ernstlicher
auf die Ablegung so mancher alter Unarten
denken. ... Wegen seines flüchtigen
Temperaments habe er mehr Aufsicht und
Anstrengung nötig, als er bei dem jetzt
schwächlichen und kränklichen Oheim
finde“ (Kuntze 1952, S. 14).
·
Ausbildung
und Berufsversuche (1797 bis 1816)
Dass
Friedrich nicht studieren soll, legen
seine schlechten Schulleistungen nahe,
und auch die Stiefmutter verhindert
diesen Plan, da sie angesichts der bereits
sich im Studium befindlichen älteren
Brüder um die finanziellen Mittel ihres
Mannes bezüglich der eigenen Kinder
fürchtet. Auch andere Berufswege, die
für die Zukunft ein gesichertes Auskommen
versprechen würden, bleiben angesichts
der geringen Hoffnungen, die der Pfarrerssohn
verspricht, verschlossen. So ist für
den Jugendlichen von 15 Jahren als letzter
Ausweg nur noch die Lehre bei einem
Förster offen, gedacht als Voraussetzung,
um für die Tätigkeit als Bauer vorbereitet
zu werden. Zwei Jahre dauert die Lehrzeit,
eher wieder eine schwarze Etappe im
Leben Friedrich Fröbels. Der Förster,
mit verschiedenen Aufgaben gut ausgelastet,
vernachlässigt den Lehrling, der sich
die Zeiten der Abwesenheit des Lehrherren
mit dem Lesen von Büchern vertreibt.
Nach zwei Jahren nimmt Friedrich Fröbel
Abschied - gegen den Widerstand des
Försters, der seine Arbeitskraft lieber
noch für ein weiteres Jahr gebrauchen
würde. Doch der Jugendliche setzt sich
durch, so daß der Lehrherr aus Rache
einen bösen Brief an den Vater schreibt,
in dem er Friedrich ein völlig unzureichendes
Zeugnis ausstellt. Dieser Nachweis ist
selbstverständlich Wasser auf die Mühlen
der Stiefmutter, und es ergibt sich
eine Leerlaufphase ohne Tätigkeit, die
Friedrich im väterlichen Haus verbringt.
Ein
Besuch bei dem in Jena studierenden
Bruder weckt Friedrich Fröbels Sehnsucht,
selbst besser gebildet zu werden. Das
von seiner leiblichen Mutter geerbte
Vermögen verschafft ihm dazu die Voraussetzung,
und er kann Mathematik und Naturwissenschaften
studieren. Doch schon im zweiten Studienjahr
werden seine finanziellen Mittel knapp,
und er macht Schulden, die er nicht
zurückzahlen kann. Als auch der Vater
sich weigert, für ihn einzustehen, wird
er von der akademischen Gerichtsbarkeit
in Haft genommen. Auch jetzt noch sieht
der Vater keine Veranlassung, mit eigenen
Mitteln tätig zu werden, und erst als
Friedrich Fröbel offiziell auf sein
väterliches Erbe verzichtet, ist der
Vater willens, ihn auszuzahlen. Neun
Wochen bleibt der junge Student in Haft,
sein erster Studienversuch ist damit
beendet, und er muß ins väterliche Haus
zurückkehren. Dort beschäftigt er sich
im Selbststudium mit einigen Büchern
aus der väterlichen Bibliothek, doch
der Pfarrherr hält diese Beschäftigung
seines Sohnes nur „für
thörichte Zeit- und Papiervergeudung“
(1966a, S. 61).
Friedrich
Fröbel ist 20 Jahre alt, als der Vater
stirbt. Das Haus muß er jetzt verlassen,
und er versucht sich in mehreren Stellen
als Forstamtsaktuar und Geometer im
Raum Bamberg. Schließlich inseriert
er in einer Zeitschrift ein Stellengesuch,
und so kommt er als Privatsekretär nach
Mecklenburg. Doch allzu lange hält er
es auch dort nicht aus. Architekt möchte
er jetzt gerne sein, und über Bekannte
versucht er Kontakt nach Frankfurt am
Main zu schließen, weil er sich dort
einen entsprechenden Berufsweg verspricht.
Der ihm von dem geliebten Onkel hinterlassene
Erbteil ermöglicht es, die Reisekosten
für die Fahrt nach Frankfurt aufzutreiben,
und er wird von Freunden mit Bürgern
dieser Stadt bekannt gemacht. Darunter
ist zufällig auch der Leiter einer Schule,
die nach den neuen Methoden Pestalozzis
Reformen im Bildungsbereich realisieren
möchte. Dieser ermuntert ihn, doch als
Erzieher und Lehrer an seine Schule
zu kommen, und angesichts fehlender
Alternativen willigt Friedrich Fröbel
ein. Er ist 23 Jahre alt, als er in
diese entscheidende Wende seines Lebens
getrieben wird.
Spontan
empfindet der Heranwachsende, in dem
neuen Beruf seine Lebensaufgabe gefunden
zu haben. An den älteren Bruder schreibt
er: „es sei mir, als habe ich etwas selbst nicht
Gekanntes und doch lang Ersehntes, lange
Vermißtes, als habe ich endlich das
Elemend meines Lebens gefunden; mir
sei wohl, wie dem Fisch im Wasser, dem
Vogel in der Luft.“ (1966a, S. 79)
Noch in dem ersten Jahr seiner Anstellung
erhält er die Möglichkeit zu einem zweiwöchigen
Studienaufenthalt bei Pestalozzi in
Yverdon. Einen Reformoptimismus kennzeichnet
den nach Frankfurt Zurückgekehrten,
den er in einem Lehr- und Unterrichtsplan
umsetzen will, von dem er im Nachhinein
sagt, daß er sich als „höchst wohlthätig“ erwiesen habe, obgleich er „für die Lehrer persönlich manches Unbequeme hatte und dieselben mehr als
gewöhnlich in Anspruch nahm“ (1966a,
S. 79). Das Pestalozzische Prinzip der
Anschauung, seine Forderung, die sinnliche
Grundlage des zu Lernenden vor der Wortlehre
zu beachten, werden wichtige Reformelemente.
Doch
schon nach einem Jahr wird die Lehrertätigkeit
an einer öffentlichen Schule für Friedrich
Fröbel zu eng. Er fühlt sich durch die
notwendige Form der Schulverfassung,
die das Leben von über 200 Kindern und
Lehrern regeln muß, eingezwängt, weil
sie seinem Lebensbedürfnis nach Freiheit
nicht entspricht. Er gibt deshalb die
Schulstelle auf und wird Privatlehrer
und -erzieher der drei Kinder der angesehenen
Frankfurter Familie von Holzhausen.
In Parallele zu Rousseaus Emile lebt
er fern der Großstadt mit den Kindern
auf dem Land, und das Leben in und mit
der Natur wird ihm zum Hauptanliegen.
Doch was „natürliche Erziehung“ für
Fröbel selbst heißt, dies liegt nicht
klar vor Augen, sondern muß in ständigen
Versuchen und in lebendigem Austausch
zwischen dem Erzieher und den Kindern
herausgefunden werden. Rückblickend
spricht er deshalb von einer „Zeit
des Kämpfens“ (1966a, S. 87f), die
ihm diese Jahre bedeutet haben. Erziehung
und Leben werden ihm zwei eng zusammengehörige
Bereiche, und in der bewußten Reflexion
der eigenen Kindheitsgeschichte liegt
für Fröbel die wichtigste Voraussetzung
für die erzieherisch notwendige Sensibilität
für die Bedürfnisse der zu erziehenden
Kinder.
Der
Heranwachsende ist schnell auf die andere
Seite des pädagogischen Tisches gewechselt,
zu schnell für sein eigenes Empfinden.
Eine umfassende und geordnete Bildung
hat er selbst noch nicht genossen, so
daß er spürt, daß er für die Lehrer-
und Erziehertätigkeit nicht hinreichend
vorbereitet ist. Da bietet sich ihm
die Chance, gemeinsam mit den Kindern,
die er zu erziehen hat, in das Pestalozzische
Erziehungsinstitut zu gehen. Er kommt
so in eine Doppelrolle „Lehrer
und Schüler, Erzieher und Zögling zu
gleicher Zeit“ (1966a, S. 96). Antwort
auf alle Fragen verspricht er sich von
Pestalozzi, und vielleicht sind es die
überzogenen Erwartungen, die eine Enttäuschung
vorprogrammieren. Er zweifelt nicht
an Pestalozzis menschlich wohlwollendem
und gutem Willen, an der Richtigkeit
seiner pädagogischen Grundsätze, doch
in der Art und Weise, wie diese in Yverdon
realisiert werden, sieht er viel Kritisches.
Als allzu mechanisch, gekünstelt, das
Leben tötend sieht er die dortige Lehrweise,
und er glaubt, „selbst klar, wenn auch nicht lebendiger zu
sehen, als Pestalozzi selbst“
(1966a, S. 97f), was pädagogisch Not
tue. Der 28jährige kehrt nach Frankfurt
zurück, wo er nur noch für kurze Zeit
in der Familie von Holzhausen bleibt.
Friedrich
Fröbel drängt es, sein eigenes Studium
an einer Universität fortzusetzen, weil
er sich selbst als nicht gebildet genug
erlebt, um die Ideen zum Ausdruck bringen
zu können, die er in sich fühlt. Hinzu
kommt, daß die Beziehung zu der Mutter
seiner Zöglinge einen gefährlichen Charakter
angenommen hat, spekuliert wird sogar,
ob das ein knappes Jahr nach Fröbels
Weggang geborene jüngste Kind der Familie
von Holzhausen Fröbel als Vater hat
(Heiland 1982, S. 39ff). Auf jeden Fall
kommt Friedrich Fröbel psychisch sehr
beunruhigt in Göttingen, seinem zukünftigen
Studienort an, und es dauert Monate,
bis er wieder zur Ruhe findet. Nachdem
er im ersten Semester sich mit verschiedenen
Sprachen beschäftigt, studiert er im
folgenden verschiedene Naturwissenschaften.
Als
wichtigstes Ergebnis nimmt er die Erkenntnis
des „Sphärischen Gesetzes“ aus seiner
Göttinger Zeit mit. Wenn wir die Dinge
nicht ihrem empirischen Schein nach
beurteilen, also nicht danach, wie sie
uns durch unsere Wahrnehmungen von der Oberfläche
her erscheinen, sondern wenn wir sie
aus ihrem Wesen heraus verstehen, wie
sie in ihrem Innern beschaffen sind,
dann erkennen wir, daß Alles mit Allem
zusammenhängt. Von dieser Einheit müssen
wir ausgehen, auch wenn die Gestalten,
in denen dieses einheitliche Gesetz
auftaucht, eine große Mannigfaltigkeit
zeigen. Bei der Abmessung des Radius
der Einheit, mit der Friedrich Fröbel
das Sphärische Gesetz ausmißt, greift
er sehr weit: Der Mensch, die beseelten
Tiere, das pflanzliche Leben, aber auch
die für uns scheinbar toten Steine und
Gestirne - in umfassendem Sinne Alles
dies ist unterschiedlicher Ausdruck
des gemeinsamen Gedankens, dessen höchste
Form Gott ist. Ein Studium der Naturwissenschaften
erweitert deshalb nicht nur das Wissen um die Dinge, die dem Menschen entgegengesetzt
sind, sondern es vermittelt gleichermaßen
wichtige Menschenkenntnis, und ist somit
Vorbereitung auch auf den pädagogischen
Beruf.
Das
erste Jahr seines zweiten Studiums kann
Friedrich Fröbel durch eine kleine Erbschaft
einer Tante finanzieren. Doch dann ist
er gezwungen, sich durch eine Nebentätigkeit
als Lehrer das notwendige Geld zu verdienen.
Da er sich in Berlin hierfür bessere
Möglichkeiten verspricht, wechselt er
den Hochschulort, und er wendet sich
dort vor allem der Mineralogie zu. Bereits
wieder ein Jahr später, 1813, ist die
Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon.
Friedrich Fröbel meldet sich als Freiwilliger
- „nicht mit Enthusiasmus“ (1966a, S. 106f),
denn von Geburt her ist er in dem kleinen
Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt geboren,
und Preußen empfindet er nicht als sein
Vaterland. Doch als angehender Pädagoge
sieht er sich in der Pflicht, für die
zukünftigen Kinder das Vaterland zu
verteidigen, weil er, würde er vor dieser
Aufgabe zurückschrecken, den Kindern
später nicht in die Augen schauen könne.
An eigentlichen Kriegshandlungen nimmt
Friedrich Fröbel nicht teil, weil seine
Abteilung davon verschon bleibt, doch
die Erfahrung jenes Jahres bringt ihm
zweierlei: er wird sich der politischen
Dimension des Lebens bewußt, und er
lernt Männer kennen, mit denen ihn sein
gesamtes weiteres Leben eine intensive
Freundschaft und gemeinsame Arbeit an
den Erziehungsversuchen verbinden wird:
Langenthal und Middendorff. Als der
Krieg beendet ist, schlägt sich Friedrich
Fröbel nach Berlin durch, und er erhält
eine Anstellung als Mitarbeiter am mineralogischen
Museum.
·
Schul- und
Internatsgründungen (1816 bis 1836)
1816
ist das Jahr der Lebensmitte Friedrich
Fröbels: 34 Jahre zur Herausfindung
seines Berufswunsches und zur Vorbereitung
auf diesen hat er hinter sich, 36 Jahre
verbleiben ihm das zu entwickeln und
zu realisieren, was als seine Lebensbestimmung
in ihm liegt und was ihn zu Recht zu
einem Klassiker der Pädagogik machen
wird. Die ersten Anfänge sind eher bescheiden.
Friedrich Fröbel gibt seine Assistentenstelle
am mineralogischen Museum in Berlin
auf, um Pädagoge zu werden. Der älteste
Bruder war gestorben, und dessen drei
Kinder müssen erzogen werden. Hinzu
kommen die beiden Söhne des anderen
Bruders, der diese Friedrich zur Miterziehung
übergibt. Die verwitwete Schwägerin
kauft sich in Keilhau, einem Dorf am
Rande des Thüringer Waldes, ein kleines
Bauernhaus, und gemeinsam zieht sie
mit Friedrich, der versprochen hatte,
er wolle die „Vaterstelle“ vertreten,
und ihren Kindern dort ein. Für die
Witwe soll dies der Beginn einer mehr
privaten Verbindung sein, in der sie
sich als zukünftige Ehefrau ihres Schwagers
sieht. Doch Friedrich Fröbel hegt nicht
diese Absichten, für ihn ist es der
Anfang einer Erziehungsanstalt, die
sich in Parallelität zu den Gründungen
Johann Heinrich Pestalozzis sehen läßt.
Ambitionen auf die Schwägerin hegt er
nicht, und als diese dies erkennen muß,
zieht sie enttäuscht aus, wobei sie
Friedrich Haus und Kinder überläßt.
Dieser
schreibt jetzt an seine im Krieg kennengelernten
Freunde Langenthal und Middendorff,
sie sollten auch nach Keilhau übersiedeln,
um an dem Aufbau der pädagogischen Reformbewegung
teilzunehmen. Durch die beiden Freunde
werden dem Institut weitere Kinder zugeführt,
für das es überhaupt charakteristisch
ist, daß
Berufliches und Privates sich
zunehmend mehr miteinander vermischen:
man heiratet untereinander, lebt und
arbeitet gemeinsam. Zwei Jahre nach
Gründung der „Allgemeinen deutschen
Erziehungsanstalt“, wie man nicht unbescheiden
formuliert, denkt Friedrich Fröbel selbst
an Heirat; mit seinen eigenen Worten:
„Im
September 1818 holte ich mir für das
nun schon erweiterte kinder- und brüderreiche
Hauswesen die Hausfrau“ (1966b,
S. 146). Sie - Henriethe Wilhelmine
Hoffmeister - hatte Fröbel einmal kurz
in Berlin gesehen, jetzt machen ihn
die Freunde auf die Frau aufmerksam
und Fröbel schreibt ihr einen Brief.
Die
Anstalt wächst kontinuierlich: 1816
beginnt es mit 5 Jungen, 1820 sind es
12, ein Jahr später 20 Kinder und 1825
schließlich 56 (Kuntze 1952, S. 56).
In seinem pädagogischen Programm ist
Friedrich Fröbel „der Zeit voraus“:
er versucht etwas, was ein knappes Jahrhundert
später in der reformpädagogischen Bewegung
auch realisiert werden soll. Eine Biographin
Friedrich Fröbels gibt einen Bericht
von dem Leben in Keilhau, indem sie
es an die Landerziehungsheime des 20
Jahrhunderts anlehnt: „Schon äußerlich
erinnert die Tracht von Lehrern und
Schülern, die leinenen kurzen Hosen,
die Kittel mit freiem Hals, die ziemlich
langen Haare an ein Landerziehungsheim;
das brüderliche Du zwischen Lehrern
und Schülern ist ... der natürliche
Ausdruck der Einstellung von beiden
Seiten; man ist Kamerad und hilft sich.
Die Schullüge existiert nicht. Abhärtung
und Einfachheit der Lebensweise ist
selbstverständliche Regel. ... Man
treibt gemeinsam Spiele im Freien ...
Im Winter rodeln Lehrer und Schüler
gemeinsam, im Sommer baden sie in der
Schwarza oder Saale. Wissensstoff, der
gedächtnismäßig behalten wird, tritt
ganz zurück ... Dafür wird am Leben,
an den Notwendigkeiten, die die erst
entstehende Anstalt mit sich bringt,
schaffend gelernt. Die Schüler ... helfen
beim Hausbau, in der Ernte, auf dem
Feld. ... Selbstkomponierte Lieder werden
im Unterricht produziert ... Die Himmelskunde
wird bei Nachtwanderungen getrieben“.
(Kuntze 1952, S. 56f)
1826
ist das Jahr des quantitativen Höhepunktes
der „Allgemeinen deutschen Erziehungsanstalt“
und gleichzeitig das Jahr in dem das
systematische Hauptwerk Friedrich Fröbels
im Selbstverlag erscheint. Das meiste,
was er später verfassen wird, werden
eher kleinere Schriften sein, Aufrufe,
um Kindergärten zu gründen, und Broschüren,
um die von ihm entwickelten Spielgaben
zu erläutern; mit der „Menschenerziehung“
legt er einen umfassenden Versuch vor,
das Gesamt der Erziehung im Ablauf der
Entwicklung der Kinder zu erfassen.
Von der Gliederung her ist diese Schrift
ähnlich angelegt wie Jean-Jacques Rousseaus
Emile, wenngleich die Sprache beider
sich deutlich unterscheidet: schriebt
dieser pointiert und spritzig, so daß
die Lektüre ein großes Lesevergnügen
darstellt, so ist jener in seinen Formulierungen
eher umständlich und seine Schriften
erfordern einen Leser, der zu anstrengender
Lesearbeit bereit ist. Meistenteils
sind die Sätze unendlich lang und weisen
eine Gliederung auf, die nicht sogleich
ins Auge springt, und eine Vielzahl
von Widerholungen des gleichen Gedankens
mit ähnlichen Worten verdoppeln und
verdreifachen den Text, der unübersichtlich
wird. Der Schreibstil Friedrich Fröbels
deutet darauf hin, daß mehr ein gespürter
Inhalt zu Papier zu bringen versucht
wird, als daß systematisch klar ein
Gedanke entfaltet werden kann. Doch
- und dies kann an dieser Stelle nur
als Versprechen stehen bleiben - die
Lesearbeit lohnt sich, denn in Fortführung
der pädagogischen Entwicklungslinie
von Comenius über Rousseau zu Pestalozzi
hat Friedrich Fröbel etwas Neues einzubringen.
Wir werden darauf zurückkommen.
1827
schlägt die politische Reaktion in Deutschland
verstärkt zu. Auch in dem liberal gesinnte
Keilhauer Kreis wittert man eine Gefahrenquelle
für den absolutistischen, monarchistischen
Staat, da dieser - wie Fröbel schreibt
- „freie,
denkende, selbstthätige Menschen“
(1966b, S. 137) bilden will und durch
die Erfahrung des Befreiungskrieges
geprägt auf die nationale Einheit des
vielfach zerteilten Deutschlands ausgerichtet
ist. Nachdem die Reformphase der ersten
Jahre des 19. Jahrhunderts vorüber ist,
möchten die politisch Mächtigen zu der
„guten alten Zeit“ zurückkehren, in
der von bürgerlicher Freiheit und politischer
Mitbestimmung nicht die Rede war. Maßnahmen
werden getroffen, die die Einrichtung
in Keilhau treffen sollen und auch treffen.
1827 verringert sich die Zahl der Kinder
schlagartig auf sechs, und die wirtschaftliche
Basis ist so gefährdet.
1830
übernimmt ein Mitarbeiter Friedrich
Fröbels die Leitung der „Allgemeinen
Deutschen Erziehungsanstalt“ und dieser
selbst reist in die Schweiz. Diese Übersiedlung
ist auch privat bedingt, da er der Hochzeit
seiner Lieblingsnichte mit dem Mitarbeiter
ausweichen will. In kurzer Zeit gründet
er in der Schweiz zwei Erziehungseinrichtungen,
denen allerdings auch keine große Erfolgschance
beschienen ist. Schließlich wird ihm
in Pestalozzis früherer Wirkungsstätte,
im Burgdorfer Schloß, der Auftrag erteilt,
Lehrer fortzubilden. Doch die Konfliktlinien
sind immer die gleichen: die wieder
erstarkte kirchliche Orthodoxie (bei
Protestanten und Katholiken gleichermaßen)
steht gegen das eher konfessionsübergreifende,
wenig dogmatische Christentum Friedrich
Fröbels; und die politische Reaktion
der Restaurationszeit läßt den liberalen
Vorstellungen des Pädagogen keinen Platz.
Dieser erwägt zeitweise, mit seinen
Freunden nach Amerika auszuwandern,
um in dem freiheitlichen Klima dort
ein Erziehungswerk gemäß den eigenen
Vorstellungen aufbauen zu können. Dieser
Plan scheitert, und 1836 kehrt Friedrich
Fröbel zurück nach Thüringen. Er zieht
nach Bad Blankenburg, einer kleinen
Stadt in der Nähe Keilhaus, so daß der
Kontakt zu den alten Freunden durch
häufige Besuche aufrechterhalten werden
kann.
·
Bad Blankenburg
und Bad Liebenstein (1837 bis 1852)
Friedrich
Fröbel ist bald 55 Jahre alt, aber noch
steht ihm der Schritt bevor, der seinen
Weltruhm begründen wird. Bislang hat
er sich vornehmlich um eine veränderte
Erziehung von Kindern im Schulalter
bemüht. Je weiter diese Versuche jedoch
gehen, desto zentraler wird für ihn
der Gedanke, daß es das Wichtigste sei,
die Anfänge der Erziehung im Auge zu
haben. Erst durch die richtige Erziehung
des kleinen Kindes, die dessen Entwicklungsbedürfnisse
erkennt, wird das Fundament gelegt,
auf dem alle weitere Bildung aufbauen
kann. Durch diesen Gedanken werden ihm
einerseits das Spiel als die Hauptäußerungsform
des Kindes und andererseits die Familienerziehung
als der Ort frühkindlichen Lebens bedeutsam.
Ein Mensch entwickelt sich nicht primär
dadurch, daß von Außen Informationen
in seinen Kopf hinein gelangen, sondern
Entwicklung ist im wesentlichen Selbstentfaltung.
Das, was in dem Kind angelegt ist, muß
sich in seinem äußeren Leben gestalten
können, um Wirklichkeit werden zu können,
und Erziehung muß vor allem Hilfe für
diesen Prozeß der Selbstentwicklung
sein. Jede Mutter - und diesen Gedanken
kann Fröbel von Pestalozzi aufnehmen
- weiß „von Natur aus“, wie sie den
Bedürfnissen ihres Kindes, den körperlichen,
aber auch den affektiven und kognitiven,
gerecht werden kann. Doch durch den
gesellschaftlichen Prozeß - wir befinden
uns am Vorabend der industriellen Revolution
in Deutschland - ist das „natürliche
Band“ zwischen Mutter und Kind gestört,
und es bedarf deshalb der kunstvollen
Pädagogik, um diese ursprüngliche „Lebenseinigung“
wieder herzustellen. Wenn dies gelingt,
hilft die pädagogische Reform nicht
nur der Entwicklung des Kindes, sondern
auch dem Erwachsenen, der von dem Kind
wieder lernen kann,
mit sich selbst und seiner Umwelt
im Einklang zu leben. Wird das
Kinder in Einigung mit seinem
eigenen Inneren erzogen, und wird seine
Beziehung zur Mutter, zum Vater und
zur Umgebung auf eine neue Basis gestellt,
dann wird sich auch die größere gesellschaftliche
und politische Einigung ergeben. Es
sind also große Ziele, die Friedrich
Fröbel vor Augen schweben.
Ausgangspunkt
der erzieherischen Reform ist ihm dabei
das Spiel des Kindes. Es ist nicht beliebige
Spielerei, Beschäftigung, damit die
Langeweile vertrieben wird, sondern
Ausdruck und Motor der kindlichen Selbstentwicklung.
Soll das „Band“ zwischen Mutter und
Kind wieder geeint werden, so muß man
sich der „Sprache der Kinder“ bedienen.
Friedrich Fröbel entwickelt ein System
von Spielmaterialien, das beginnend
mit der frühen Kindheit diesen Zweck
erreichen soll. In Bad Blankenburg gründet
er die „Anstalt zur Pflege des Beschäftigungstriebes
für Kindheit und Jugend“, die keine
pädagogische Einrichtung ist, sondern
ein Wirtschaftsbetrieb, der seine „Spielgaben“
herstellen und verbreiten soll. Er selbst
reist durch Deutschland, um auf sein
Unternehmen aufmerksam zu machen, und
er wird Herausgeber einer Zeitschrift,
die nämliches bewirken soll.
Da
der Absatz der produzierten Spielgaben
nicht den gewünschten Erfolg hat, gründet
er 1838 die „Bildungsanstalt für Kinderführer“,
die sich an Männer richtet, die als
Vermittler in die Familien hineinwirken
sollen. Doch auch durch diese Maßnahme
wird der Umsatz der Spielmittel nicht
gesteigert, und so erfolgt 1840 der
Aufruf zur Gründung des „Allgemeinen
Deutschen Kindergartens“. Friedrich
Fröbel schwebt weniger die Einrichtung
einer Tageseinrichtung für Kinder in
unserem Sinne vor, als daß er den Startschuß
für eine große Frauenbewegung geben
will, die den Druck für eine pädagogische
Reform erhöhen soll. Die Mustereinrichtung
„Kindergarten“, die in Bad Blankenburg
entstehen soll, wird eher als Modell
und Anfangspunkt einer gesamtdeutschen
Bewegung verstanden. Einrichtungen zur
Beaufsichtigung kleiner Kinder gab es
schon vor der Gründung des Kindergartens,
doch in einer Aufbewahrung der Kinder
liegt nicht das Ziel des Kindergartens,
der nicht die Familie ersetzen will,
sondern der im Gegenteil das Familienleben,
das angesichts der gesellschaftlichen
Veränderungen gefährdet ist, neu beleben
möchte. Zur Beförderung seines Bestrebens
und zu dessen ökonomischer Absicherung
gründet Friedrich Fröbel eine Aktiengesellschaft,
für die er sich 1000 Einzahler erhofft.
Doch tatsächlich bleibt auch hier der
Erfolg mäßig: 1843 - drei Jahre nach
Beginn des Unternehmens - sind erst
155 Aktien gezeichnet, und nur für 37
davon wird Geld eingezahlt (siehe Prüfer
1927, S. 99). Auch die faktische Ausbreitung
der Kindergärten als pädagogische Einrichtungen
ist gering: 1847, sieben Jahre nach
dem Startschuß, sind es sieben (siehe Kuntze 1952, S. 112).
Das,
was wir als „Kindergarten“ bezeichnen,
beginnt also als vielschichtiges Unternehmen:
·
Pädagogische Einrichtungen,
in denen kleine Kinder teilweise begleitet
von ihren Müttern oder Kinderpflegerinnen
stundenweise spielen,
·
ein umfassendes System an
Spielgaben, das der Pädagogik Fröbels
ihre spezifische Konzeption gibt,
·
Zeitschrift und Publikation
zur Verbreitung der Ideen,
·
Ausbildungskurse für angehende
Kinderpflegerinnen und Kindergärtnerinnen,
·
der Beginn einer großen Frauenbewegung,
die für die Rechte der Kinder und Familien
Druck machen soll.
Friedrich
Fröbel ist für den Rest seines Lebens
ungeachtet des ökonomischen Mißerfolges
unermüdlich in dieser Sache tätig. Er
hält selbst Spielstunden in den Kindergärten
ab, er leitet Ausbildungskurse für Kindergärtnerinnen,
er publiziert Schriften, in denen er
seine Ideen erarbeitet, er entwickelt
das begonnene System der Spielgaben
weiter, und er hält in verschiedenen
Teilen Deutschlands Vorträge. Ein mittlerweile
älterer Mann, der rastlos umherreist
und schließlich seine Wohnung in Bad
Blankenburg aufgibt, um nur noch ein
Zimmer bei den Freunden in Keilhau bereitzuhalten,
von wo aus er immer wieder zu seinen
Aktivitäten aufbricht.
1839,
ein Jahr vor dem Aufruf zur Gründung
des Kindergartens, ist seine erste Frau
gestorben, und die Ehe dieses Propagandisten
für das Recht des kleinen Kindes auf
Erziehung und Selbstentwicklung sowie
für die Erneuerung des Familienlebens
ist kinderlos geblieben. Jetzt, ein
Jahr vor seinem Tod, heiratet er zum
zweiten Mal - er ist 69 Jahre alt, sie,
seine ehemalige Schülerin, 36. Steht
dieses Glück seines Lebensabends auf
der Habenseite, so bildet den anderen
Pol die politische Entwicklung in Preußen,
die eher dunkle Schatten auf das Ende
seines Lebens wirft - schwarz und weiß,
dieser Kontrast hat sein Leben von Beginn
an bestimmt. Im Zuge der Sozialistengesetze
verbietet Preußen die Ausbreitung der
Kindergärten. Will Friedrich Fröbel
es zunächst so darstellen, als beruhe
das Kindergartenverbot auf einer Namensverwechslung
mit einem Karl Fröbel aus Hamburg, der
dort die „Hochschule für Mädchen und
Kindergärtnerinnen“ leitet und der der
sozialistischen Bewegung nahe steht,
so wissen die politisch Mächtigen sehr
wohl, wen sie treffen und treffen wollen:
Friedrich Fröbel, für den Freiheit in
der Erziehung wichtige Forderung ist,
dem es um die Selbstentfaltung des Kindes
geht, und der angesichts der deutschen
Revolution von 1848 geschrieben hatte:
„Gegrüßet
sei ... des freien deutschen Volkes
Frühlingsmorgen“ (in: Kuntze 1952,
S. 120). Die beginnende demokratische
Lehrerbewegung hat Fröbel längst zu
einem der ihrigen gemacht und ein einheitliches
Bildungswesen vom Kindergarten bis zur
Hochschule zu ihrer Forderung erhoben.
Die Abwehr der neuen Gedanken zur frühkindlichen
Erziehung durch die Vertreter der konservativen
Rückwärtsbewegung nach dem Scheitern
der Revolution von 1848 liegt deshalb
in der Logik der Sache.
Bis
zu seinem Tode kämpft Friedrich Fröbel
gegen das Kindergartenverbot an, er
schreibt an die Behörden und schließlich,
ein dreiviertel Jahr vor seinem Tod,
an den preußischen König selbst: „Die Sache der Kindheit ... kann keiner Partei
angehören, deshalb eben steht meine
unbeschützt innerhalb des Parteilebens.
... Ew. Majestät, ein alter Mann von
siebzig Jahren, der von Ew. Majestät
persönlich nichts erbittet, indem er
seine Rechnung in sich mit der Welt
abgeschlossen hat, bittet Sie aber im
Namen der Kindheit: Lassen Sie den Keim
einer neuen Menschenbildung für Sitte,
Gesetz und Religion nicht zertreten!
Nehmen Sie ihn unter Ihren mächtigen
Schutz ... Lassen Sie die Kindheit das
ihr zukommende Glück ungestört im Kindergarten
finden, daß sie damit für die schweren
Kämpfe des kommenden Lebens gestärkt
werde!“ (in: Prüfer 1927, S. 130)
Doch alles ohne Erfolg. Die Aufhebung
des Kindergartenverbots im Jahre 1860
erlebt er nicht mehr. Bereits acht Jahre
vorher, am 21. Juni 1852 stirbt er in
der Nähe von Bad Liebenstein, wohin
er drei Jahre zuvor gezogen ist.
b)
Menschenerziehung
Friedrich
Fröbel ist nicht der Autor, der am Schreibtisch
sitzt, Bücher durcharbeitet und eine
abstrakt-deduktive Erziehungstheorie
zu Papier bringt. Sicherlich, er hat
gelesen, was der Klassiker der Pädagogik,
Johann Heinrich Pestalozzi, geschrieben
hat, und er hat auch einige zeitgenössische
Schriften zur Kenntnis genommen und
sich teilweise von ihnen begeistern
lassen. Doch der Haupthintergrund seines
Schreibens ist die eigene Erfahrung:
die Reflexion der selbst erlebten, schweren
Kindheit einerseits und die Verarbeitung
seiner Erzieher- und Lehrertätigkeit
in Keilhau andererseits. Bei Johann
Heinrich Pestalozzi war dies nicht anders,
und in der folgenden Phase der Reformpädagogik
werden wir auf das gleiche Phänomen
stoßen, daß die eigenen pädagogischen
Erlebnisse der wichtigste Ausgangspunkt
einer verallgemeinernden Theorie sind.
Die geisteswissenschaftliche Pädagogik
des 20. Jahrhunderts wird es als allgemeines
Gesetz formulieren, daß Theoriebildung
sich dem Primat der Praxis zu unterwerfen
habe: Sie entspringt aus der erzieherischen
Praxis, deren Erfahrungen sie verarbeitet,
und sie weist auf die Praxis zurück,
an deren Verbesserung im Sinne einer
stärkeren Berücksichtigung der Eigenrechte
der Kinder und Jugendlichen sie interessiert
ist. Die Theoretiker stehen nicht oberhalb
des erzieherischen Alltags, sondern
sie teilen - wie man dies formulieren
wird - die Verantwortung der Praxis.
Im
Sinne dieser Bestimmung des Verhältnisses
von Theorie und Praxis ist Friedrich
Fröbel ein Musterbeispiel: Mehr durch
Zufall, so scheint es, kam er zu dem
Erzieherberuf, doch betrachtet man seine
eigene Entwicklung - die fehlende Mutter,
die problematische Beziehung zum Vater,
die unzureichende systematische Bildung,
- dann wird man in dieser Tätigkeitswahl
sehr wohl biographische Notwendigkeit
sehen; um für sich ein einheitliches
Menschen-, Welt- und Gottesbild zu finden,
das das im eigenen Inneren Gefühlte
in Worte faßt, studierte er an verschiedenen
Universitäten Naturwissenschaften, ohne
dabei einen akademischen Abschluß zu
erwerben; jetzt ist er „Stifter, Begründer und Vorsteher“ (wie
es auf dem Titelblatt der „Menschenerziehung“
heißt) einer umfassenden Erziehungseinrichtung,
in der berufliche Arbeit und privates
Leben auf vielfältige Weise verquickt
sind. Er hat vor, seine Erfahrungen
und seine Gedanken in einem großen pädagogischen
Werk zu verarbeiten, und durch die Veröffentlichung
hofft er, einen Impuls zur verallgemeinernden
pädagogischen und über sie hinaus auch
zur gesamtgesellschaftlichen Reform
zu geben. Auf zwei Bände ist das Werk
angelegt, in dem ersten geht es um die
Erziehung und Bildung des Kindes, in
dem zweiten soll es um das Jugendalter
gehen. Doch dieser zweite Band erscheint
nicht, weil Friedrich Fröbel aus der
Keilhauer Arbeit ausscheidet, so daß
er an dem Heranwachsen der ehemaligen
Kinder keinen unmittelbaren Anteil mehr
hat. Statt dessen wird er sich der frühen
Kindheit verstärkt zuwenden.
·
Grundgedanken
Der
Mensch ist von Natur aus gut - das war
die Überzeugung der großen Klassiker
der Pädagogik von Comenius über Rousseau
bis hin zu Pestalozzi. Auch für Friedrich
Fröbel ist die ursprüngliche Güte eine
nicht hintergehbare Ausgangsthese. Sie
ergibt sich aus seinem Menschen-, Welt
und Gottesbild, das wir unter dem Stichwort
„Sphärisches Gesetz“ bereits oben angesprochen
haben. In der Formulierung des ersten
Satzes der Menschenerziehung lautet
es: „In
allem ruht, wirkt und herrscht ein ewiges
Gesetz“ (1982, § 1), und in diesem
liegt das Göttliche begründet. Es gilt
zu unterscheiden zwischen der äußeren
Erscheinung, die die Oberfläche einer
Sache, der Natur oder des Menschen zeigt,
und dem inneren Wesen, dem Kern. Wenn
ich einen Menschen betrachte, sehe ich
seine Hände, Arme und Beine, und beachte
ihre Bewegungen, ich höre den Schall
der von ihm gesprochenen Wörter, ich
sehe das Gesicht, die Augen, das Mienenspiel.
Das, was das „Wesen“ dieses besonderen
Menschen ausmacht, kann ich nicht sehen,
obgleich es das eigentlich Entscheidende
ist, was den Händen, Armen und Beinen
den Befehl zu einer bestimmten Bewegung
gibt, den ausgesprochenen Wörtern ihre
Bedeutung verleiht und hinter der Gesichtsmine
ein Gefühl vermittelt. Das Innere des
Menschen - seine Gedanken, Gefühle und
Glaubensüberzeugungen, das, woran sein
Herz hängt, seine Identität - all dies
läßt sich mit den Sinnen nicht wahrnehmen;
auch wenn wir den Menschen aufschneiden
würden, wenn wir bis in sein Herz vordringen
würden, das Menschliche des Menschen
und seine unwandelbare Individualität
bekämen wir dadurch nicht zu Gesicht.
Aber doch läßt sich nicht bezweifeln,
daß es dieses „Innere“ gibt, weil wir
sonst nicht erklären könnten, warum
ein Mensch liebt oder haßt, warum er
auch gegen den eigenen Egoismus einem
anderen hilft, warum er sich und seinem
Leben einen Sinn verleiht.
Nun
läßt sich nicht sagen, daß das innere
Wesen das eigentlich Wichtige sei, dem
gegenüber die äußere Erscheinung eine
zu vernachlässigende Größe wäre. Wenn
das, was im Innneren eines Menschen
(bei Friedrich Fröbel aber auch des
Steines, der Pflanze, des Tieres) „ruht, wirkt und herrscht“, keine Form bekäme,
nicht nach Außen erscheinen würde, könnten
wir nichts von der uns umgebenden Welt,
von den anderen Menschen, aber auch
von uns selbst wissen, wir würden uns
nicht entwickeln, sondern alles (einschließlich
unserer selbst) wäre in einen undurchschaubaren
Nebel eingehüllt. Es kommt also auf
das Verhältnis von Innen und Außen an.
Wir müssen
den innerlichen Impulsen äußerlich
Gestalt geben (z.B. unserer Wut durch
einen kräftigen Schlag auf die Tischplatte)
und durch Wahrnehmung und Erfahrung
in der Außenwelt unserer wesensmäßigen
Bestimmung Entfaltungsmöglichkeit eröffnen
(z.B. durch das Erlernen eines Musikinstrumentes
der in uns angelegten Musikalität).
Erst aus dem Wechselspiel von Innen
und Außen ergibt sich Entwicklung. Diese
verläuft dann glücklich, wenn die Möglichkeiten,
die von Außen (u.a. durch die Erziehung)
dem Kind angeboten werden, den im Inneren
des individuellen Menschen grundgelegten
Gedanken und Empfindungen entsprechen.
Wie
gesagt: das Wechselspiel von Innen und
Außen ist kein auf den Menschen allein
bezogenes Phänomen, sondern es ist eine
allgemeine Lebenserscheinung, die die
mineralische, pflanzliche, tierische
und menschliche Welt durch das sphärische
Gesetz verbindet. Was im Vergleich zu
der übrigen Naturentwicklung für den
Menschen charakteristisch ist, ist die
Bewußtheit und damit die Freiheit. Der
Ausgleich von innerer (göttlicher) Bestimmung
und äußerer Formbildung, die Entwicklung
zu einer „Ich-Identität“ (ein Ausdruck,
den Friedrich Fröbel noch nicht benutzt),
durch die der Mensch sich zu dem hin
entwickelt, was in ihm als höheres Gesetz
angelegt ist, geschieht nicht naturwüchsig,
triebhaft automatisch, sondern dadurch,
daß das Kind im Verlaufe seiner Entwicklung
immer mehr Selbstbewusstsein gewinnt,
und sich so absichtlich selbst gestalten
kann, wie und was er werden will und
soll. Aus diesem Gedankengang ergeben
sich Konsequenzen für das Kindesbild,
für die Betrachtung der kindlichen Entwicklung,
für die Kritik an der bestehenden Erziehungswirklichkeit
und für den positiven Erziehungsbegriff.
Diese Punkte wollen wir kurz nachzeichnen.
Jedem
ungeborenen Säugling ist seine menschliche
Bestimmung als Potentialität, als Kern
seiner Persönlichkeit, eingegeben, auch
wenn es selbst und seine Eltern diese
Möglichkeit noch nicht erkennen können.
Dieses innere Wesen muss, weil es spezifischer
Ausdruck eines allgemeingültigen, alles
beherrschenden Gesetzes ist, von Natur
aus gut sein. Es ist, wie Friedrich
Fröbel formuliert „das
erscheinende und erschienene Göttliche
in menschlicher Gestalt ... ein Unterpfand
der Liebe, der Nähe, der Gnade Gottes“
(1982, § 15), und die Eltern sind deshalb
aufgefordert, sich selbst „als
Bewahrer, Behüter und Pfleger einer
Gottesgabe“ (1982, § 17) zu betrachten.
Der Mensch kann also nicht von Natur
aus schlecht sein, und wenn das Kind
doch als böse erscheint, so kann dies
nur an seiner falschen Erziehung liegen,
die dieses Kind von seinem eigenen Weg
abgeführt hat. Der ehedem als verhaltensgestört
geltende Friedrich Fröbel kann in diesem
Falle nur den Rat geben, bei einem „schwierigen“
Kind den Weg zu den ursprünglich guten
Quellen wieder zurückzugehen und diese
zu stärken. Das „göttliche“ Gute und
die Bestimmung, es im Verlaufe der Entwicklung
nach Außen darzustellen, ist jedem Kind
und allen Menschen gemeinsam; wie sich
dies aber für den einzelnen Menschen
konkretisiert, ist eine „Eigentümlichkeit“
eines jeden Individuums, eine einmalige
Variante eines einheitlichen Planes.
Jeder Mensch muss seine Eigentümlichkeit
zur Darstellung bringen, und die Erziehung
eines jeden Kindes muss auf seine spezifische
Persönlichkeit bezogen werden.
Neben
diesem anthropologischen Gedanken, der
die allgemeine und besondere menschliche
Bestimmung umreißt, steht die Beschreibung
der menschlichen Entwicklung, die Friedrich
Fröbel in vier Stufen aufteilt: Säuglingsalter,
frühe Kindheit, Knaben- und Jünglingsalter
(dass er der Konvention folgend die
männliche Formulierungsform wählt, sollte
einstweilen nicht stören; in seiner
Pädagogik nimmt der Gedanke einer geschlechtsspezifischen
Erziehung sehr wenig Raum ein). Für
jede dieser Entwicklungsphasen gilt
ein unterschiedliches Verhältnis von
Innen und Außen, so dass dieses Begriffspaar
an die Stelle des Verhältnisses von
Kraft und Bedürfnis tritt, das für Jean-Jacques
Rousseaus Bestimmung der Entwicklungsstufen
zentral war. Gibt es so charakteristische
Unterschiede zwischen Friedrich Fröbel
und Jean-Jacques Rousseau, so eint sie
doch der wichtige Gedanke, dass die
Phasen im Verlauf der menschlichen Entwicklung
nicht quantitative Unterschiede kennzeichnen,
so daß das Kind ein kleiner, schwächerer,
dümmerer Erwachsener wäre, sondern dass
qualitative Differenzen zwischen den
einzelnen Stufen bestehen. Die Entwicklung
der Kinder wird dann richtig verlaufen,
wenn den Bedürfnissen und Eigentümlichkeiten
der jeweiligen Phase voll entsprochen
wird. Nicht das Kind sich weiter denken,
als es ist, sondern ihm Hilfe für sein
jetziges Leben geben, ist die pädagogische
Schlussfolgerung.
Wenn
die wesensmäßige Bestimmung des Menschen
in seinem eigenen Inneren Grund gelegt
ist, dann darf die Erziehung keine „tätige, vorschreibende und bestimmende, eingreifende“
(1982, § 8), sondern sie muss „leidend, nachgehende (nur behütend, schützend)“ (1982, § 7) sein.
Je jünger die Kinder sind, desto wichtiger
ist dieser Gedanke, da die „Eigentümlichkeit“,
die Individualität, die Einmaligkeit
seiner spezifischen Menschwerdung noch
nicht erkannt werden kann, auf die aber
alles ankommt. Das entscheidende Wort
in dem Erziehungsbegriff Friedrich Fröbels
ist das des „Selbst“: Selbsttätigkeit,
Selbstbewusstsein, Selbstentwicklung.
Der Erzieher darf das Kind nicht wie
ein „Wachsstück“,
einen „Tonklumpen“
behandeln, und die Erziehung und Bildung
ist von der Vermittlung der Überfülle
„aufgebürdeter, angehefteter, fremdartiger ...
Kenntnisse“ (1982, § 86) zu befreien,
damit das Kind wieder zum selber denken,
selber sehen, selber handeln, selber
fühlen kommen kann. Dabei sollte „nachgehende“
Erziehungsvorstellung Friedrich Fröbels
nicht mit einem passiven, schwachen
Erziehungsbegriff verwechselt werden,
denn es geht nicht um eine unbeteiligte
Distanz des Erziehers zu dem Kind, um
die belanglose Meinung, sie sollten
doch machen, was sie machen wollten
(Hauptsache sie stören uns nicht). Im
Gegenteil: die Erziehung stellt hohe
Anforderungen an den Erwachsenen, der
eine intensive Beziehung zu den Kindern
gestalten soll - mit dem bereits zitierten
Wort Friedrich Fröbels: „Kommt.
laßt uns unsern Kindern leben!“
Nicht unverbindlich ein Kind zu „begleiten“,
fordert er, sondern es gilt, das Leben
der Kinder mit dem unsrigen auf existentielle
Art zu verbinden. Wird dieser Anspruch
realisiert, dann hilft sich der Erwachsene
auch
selbst. So wie im Erziehungsprozess
die Gefahr groß ist, das Kind zu etwas
zu manipulieren, was es nicht ist, so
werden die Erwachsenen im gesellschaftlichen
Verkehr von ihrem eigenen Wesen selbst
entfremdet: „wir
sind tot, was uns umgibt, ist für uns
tot“ (1982, §41), Wenn wir deshalb
von den Kindern, die in ihrer Spontaneität
und Unverdorbenheit noch ein wenig näher
an der Natürlichkeit stehen, lernen,
dann können wir in dem gemeinsamen Leben
auch wieder zu uns selbst finden. In
dem Prozess einer richtig verstandenen,
aktiven, auf das Kind zugehenden Erziehung
- so hat es Friedrich Fröbel für sich
persönlich erfahren - können wir in
unsere eigene Kindheit zurückgehen und
die Behinderungen aufheben, die die
negative erzieherische Manipulation
uns zugefügt hat.
·
Säuglingsalter
und (frühe) Kindheit
Das
Verhältnis von Innen und Außen bestimmt
die Konstruktion der Entwicklungsstufen
- so haben wir gesagt. Der Säugling
hat noch keine Vorstellung von der Welt
außerhalb von ihm, aber deswegen auch
noch keine Vorstellung von sich selbst,
weil erst in der Entgegensetzung etwas
erkannt werden kann (um sich dies zu
verdeutlichen, denke man sich eine Welt,
in der es im täglichen Ablauf der Erscheinung
die „Nacht“ nicht gäbe; schwerlich ließe
sich vorstellen, dass die Menschen dann
ein Bewusstsein von „Tag“ hätten, weil
sich der „Tag“ erst im Kontrast zu der
„Nacht“ ergibt). Die erste Aktivität,
die der Säugling reflexartig und als
lebensrettenden Instinkt beherrscht,
ist das Saugen, durch die Äußeres (die
Muttermilch) in das Innere des Kindes
(seinen Mund, Magen, Darm) gelangt.
Dieses Saugen ist über die körperliche
Ernährung hinaus gleichermaßen auf das
Psychische zu beziehen: insbesondere
durch seine Sinne (Friedrich Fröbel
schreibt in seiner symbolischen Deutung
der Sprache: „S-inn, d.i. selbsttätige Innnerlich-Machung“,
1982, § 25)
„s-augt (1982, § 20) der Säugling die umgebenden Gegenstände auf, absorbiert
sie. Diese Wahrnehmungen der Neugeborenen
sind von Beginn an nicht das passive
Eindrücken äußerer Erscheinungen, sondern
Aktivität des Selbst des Kindes; es
selbst muss sehen, hören, fühlen usw.
Die pädagogische Aufgabe des Erwachsenen
ist es dabei, dem Kind die Dinge zu
seiner Wahrnehmungsaktivität anzubieten,
die für seine Entwicklung förderlich
sind. Dabei zeigt sich von Anfang an
ein spielerischer Aspekt, der von Jean
Piaget im 20. Jahrhundert mit dem Begriff
des „Übungsspiels in der sensomotorischen
Phase“ belegt wird: nicht um etwas von
Innen her in symbolischer Form darzustellen,
sondern um seine Wahrnehmungs- und Handlungskräfte
zu „üben“ spielt der Säugling. Die Erziehung
des Säuglings erschöpft sich jedoch
nicht in der Erforschung der empirischen
Wirklichkeit, sondern sie weist gleichermaßen
eine metaphysische Dimension auf, wobei
Friedrich Fröbel an das anknüpfen kann,
was Johann Heinrich Pestalozzi bereits
zu diesem Thema geäußert hat: Indem
das Neugeborene zunächst in der Beziehung
zu der Mutter, danach auch in der Familie
insgesamt Gemeinsamkeit erfährt, erwirbt
es ein „Gefühl“ des Zusammenhangs des
eigenen Lebens mit dem der anderen,
und dieses „Gemeingefühl
ist der äußerste Keim ... aller echten
Religiosität, alles echten Strebens
nach ungehemmter Einigung mit ... Gott“
(1982, § 21).
In
der auf das Säuglingsalter folgenden
Phase der Kindheit kehrt sich das Verhältnis
von Innen und Außen um. Jetzt steht
der Aspekt im Vordergrund, Innerliches
äußerlich zu machen. Etwas, was im Kopf
des Kindes als Gedanke, als Wunsch,
als Phantasie vorhanden ist, muß ausgedrückt
werden, damit dem Herumschwirrenden
eine Form gegeben werden kann. Herausgehobenes
Mittel dazu ist die Sprache, derer das
Kind jetzt mächtig wird. Nehmen wir
das gerade einjährige Kind, das durch
intensive Bemühungen der Eltern veranlasst
beim Zeigen des Autos „Auto“ sagt. Eigentlich
ist dies noch keine Sprachäußerung,
sondern gehört als Bestandteil der kombinierten
Wahrnehmung von Sehen (des Autos) und
Hören (des Wortes „Auto“ seitens der
Eltern) zu der Gesamtsituation. Das
beinahe zweijährige Kind wird dagegen
sprechen: „Autofahren“, und dann nicht
nur eine Handlungsreaktion auf den dargebotenen
Wahrnehmungsreiz zeigen, wenn
es damit einen inneren Wunsch
ausdrückt. Es mag sein, dass es mit
dem Auto mitfahren will, es mag sein,
dass es Angst vor dem Autofahren hat
(und durch ein weinerliches Gesicht
die Worte begleitet), es mag sein, dass
es nicht will, dass der Vater ,mit dem
Auto davon fährt. Die Formung von Zunge,
Kehlkopf, Lippe usw. zu dem Satz „Autofahren“
ist bedingt durch den Wunsch, die Angst
oder Verzweiflung des Kindes. Innerliches
wird äußerlich gemacht.
In
diesem Prozeß der Formung gestaltet
sich gleichermaßen das Innere neu, indem
nicht nur den anderen etwas zu Gehör
gebracht wird, sondern indem der formulierte
Inhalt in das Selbstbewußtsein des sprechenden
Kindes hineinkommt. Dies kann jeder
für sich in der Eigenreflexion erfahren:
Nehmen wir an, irgend ein unangenehmes
Gefühl schwirrt in uns herum, dem wir
vielleicht nur durch ein griesgrämiges
Gesicht Ausdruck verleihen. Jetzt tritt
jemand hinzu und fragt uns, welche „Laus
uns über die Leber“ gelaufen sei, um
so ein Gesicht zu ziehen. Wir, so durch
den anderen gezwungen, formulieren jetzt
erstmals laut den Grund unserer Missstimmung;
und vielleicht schon indem wir die Worte
selbst aus unserem eigenen Mund kommen
hören, sind wir über uns selbst überrascht.
Erwachsene haben diese Erfahrung, etwas,
das sie gedanklich oder gefühlsmäßig
bewegt, durch Worte Ausdruck verleihen
zu können, schon oft gemacht; für das
kleine Kind, das gerade sprechen lernt,
stellt diese Erfahrung ein ungeheures
Erlebnis dar, die sowohl die eigene
Innen- wie das Verhältnis zur Außenwelt
enorm bereichert. Sprache ist für das
kleine Kind eine wichtige, aber nicht
die einzige Form, die Gefühle und Gedanken
zum Ausdruck bringen zu können. Gerade
weil es erst dabei ist, sprechen zu
lernen, ist das (Symbol-) Spiel eine
zweite herausgehobene Möglichkeit dazu.
Kurz verwiesen werden soll an dieser
Stelle lediglich auf nebenstehendes
Zitat, das die große Bedeutung, die
Fröbel dem Spiel in der Phase der frühen
Kindheit zuspricht, zum Ausdruck bringt.
·
Knaben- und
(Schul-)alter
In
der dritten Entwicklungsphase kehrt
sich das Verhältnis von Außen und Innen
abermals um. Das Kind will alles lernen,
was es über die Dinge draußen, die Pflanzen,
Tiere und Menschen sich aneignen kann,
es will verstehen, was es in der Welt
gibt, wie die Dinge funktionieren und
wie sie untereinander zusammenhängen.
Dabei unterscheidet sich seine Situation
von der des Säuglings, bei der ebenfalls
der Pol der Innerlichmachung des Äußeren
im Vordergrund stand, dadurch, daß es
sich der Bedeutsamkeit der eigenen Innenwelt
bewußt geworden ist. Deshalb versucht
das Kind, nicht nur die Dinge zu sehen,
zu hören, zu fühlen, zu benennen, sondern
es will herausfinden, was „die Welt
im Innern zusammenhält“. Das Schulkind
hat eine „Ahnung“, daß auch in und über
der Außenwelt „ein
ähnlicher Geist wie in ihm und über
ihm lebe, ... ihn durchdringe, und es
treibt ihn ein inniges, unwiderstehliches
... Sehnen, sich dieses allwaltenden
Geistes bewußt zu werden“ (1982,
§ 58). Friedrich Fröbel nennt eine Reihe
von Tätigkeitsformen, die für dieses
Alter typisch sind, und an denen sich
das allgemein Gesagte darstellen läßt
(1982, § 49):
·
der Gestaltungstrieb, das
nachzuahmen, was es in seiner Umgebung
an ernsthaften Tätigkeiten sieht;
·
die Mitarbeit in den alltäglichen
Angelegenheiten der Familie;
·
das Klettern, um einen Überblick
zu gewinnen,
·
das Steigen in Höhlen, um
Unbekanntes zu entdecken,
·
das Spielen mit Sand und
Lehm und damit das Gefühl, selbst „über den Stoff zu herrschen“,
·
die Pflege des eigenen Gartens
als Vorbereitung auf die Pflege des
eigenen Lebens,
·
das Spiel, das sich in diesem
Alter als soziales Regelspiel äußert,
·
das Hören und Lesen von Sagen,
die mit der Vergangenheit bekannt machen,
·
die Fabeln und Märchen, die
noch nicht Verstandenes erklären,
·
das Singen von Liedern, die
ein unaussprechbares Gefühl ausdrücken,
·
das Kämpfen, das dem Schulkind
„Spiegel
der
ihn künftig erwartenden Kämpfe
des Lebens“ ist.
Damit
die Erziehung des Schulkindes (genauer
gesagt müßten wir hier von „Unterricht“
reden, da Friedrich Fröbel diesen Begriff
für diese Entwicklungsphase in der Vordergrund
stellt, während es im Säuglingsalter
der der „Pflege“ und in der frühen Kindheit
der der „Erziehung“ ist) den Entwicklungsbedürfnissen
entspricht, bedarf es einer Schule,
die ein richtiges pädagogisches Verständnis
aufweist. Deren wichtigstes Kennzeichen
ist es, auf die innere Einheit aller
Dinge ausgerichtet zu sein. Nicht indem
dem Kind möglichst viele Fakten äußerlich
wissend vermittelt werden, wird dieses
Ziel erreicht, sondern dadurch, daß
das Bedürfnis des Kindes, den erahnten
Zusammenhang zu bereifen, im Vordergrund
des Unterrichts steht. In drei Bereichen
liegt der Schwerpunkt einer solchen
Schule: in der Menschen-, in der Natur-
und in der Gotteserkenntnis, womit sich
die drei Hauptgegenstände des Unterrichts
ergeben: Sprach-, Naturkunde- und Religionsunterricht,
die wiederum mit drei psychischen Kräften
in dem Kind in Beziehung stehen: Vernunft,
Verstand und Gemüt. Für alle drei Unterrichtsbereiche
gilt dabei gleichermaßen, daß sie nicht
als isoliertes Faktenwissen dem Kind
zu präsentieren sind, sondern daß deren
Bezug auf das Leben des Kindes im Vordergrund
stehen muß. So hat der Religionsunterricht
auf die „wahre
- wenn auch ... unbewußte Religion im
Gemüte des Menschen“ (1982, § 60)
bezogen zu sein, die Naturkunde soll
in dem unmittelbaren Erlebnis mit der
Natur begründet sein, und die Sprache
soll als Mittel, das aktive, eigene
Leben auszudrücken, begriffen werden.
Es ist der zentrale Bezug zu dem Selbst
jedes einzelnen Kindes, der den Erziehungsbegriff
Friedrich Fröbels kennzeichnet. Wir
sollten das nicht mehr tun, was die
faktische, schlechte Erziehungsrealtität
macht, indem sie „uns und unseren Kindern ... die unaussprechliche
Freude (raubt),
daß in ihrem Innern, in ihrem Geiste
und Gemüte, die Quelle ewigen Lebens“
fließt (1982, § 86).
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